Künstliche Intelligenz und Menschliche Intelligenz

Aktuell reden und schreiben viele zur Künstlichen Intelligenz, die sich praktisch umgesetzt in vielen Anwendungen, wie z.B. ChatGPT von OpenAI, zeigt. Haben wir “Intelligente IT-Systeme” und dumme Menschen? Wenn es um menschliche Intelligenz geht, kommt oft der vor mehr als 100 Jahren entwickelte Intelligenztest ins Spiel, mit dem dann zukünftige Möglichkeiten und Dispositionen vorhergesagt werden. Die folgende Passage beschreibt die Zusammenhänge etwas ausführlicher.

“Eine erste Entwicklungslinie soll hier aus heuristischen Gründen auf das Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhundert datiert werden. Ausgangspunkt ist die kausalmechanische Logik einer behavioristischen Entwicklungspsychologie, die den Körper wesentlich als Reiz-Reaktions-Maschine betrachtet. In dieser Logik entwickelte der französische Psychologe Alfred Binet 1905 gemeinsam mit dem Arzt Théodore Simon einen ersten sogenannten ´Intelligenztest´ (Liungman, 1976). Das mit der Psychometrie etablierte sehr lineare, planmäßig geregelte Mess- und Testregime verweist auf einige zentrale Merkmale von Vermessungs- respektive Prüfungspraktiken. Grundlegend zielt die Prüfung darauf ab, von der Summe einzelner aktueller Leistungsergebnisse eines Individuums auf die zukünftigen Möglichkeiten und Dispositionen bzw. auf die zukünftig erwartbare Leistungsfähigkeit schließen zu können. Aber der Psychometrie gilt nicht nur eine aktuelle Leistung als repräsentativ für ein Leistungsvermögen, sondern sie stellt durch ihre Orientierung am Modell der Normalverteilung zugleich die Kontrolle sozialer Relationen sicher: Die Intelligenzleistungen, die dem Einzelnen als Leistungen zugeschrieben werden, werden im Verhältnis zum Durchschnitt der Leistungen anderer angegeben und damit vergleichbar gemacht. Auf Basis derartiger Aussagen über ´Begabung´ und ´Intelligenz´ lassen sich institutionelle Selektionsprozesse und soziale Hierarchisierungen legitimieren (Bourdieu, 1993; Gould, 1988)” (Vater, S. (2023:255248).): Validierung und Neoliberalismus – selbstverantwortete Beschäftigungsfähigkeit als Lernergebnis, in: Schmid, M. (Hrsg.) (2023): Handbuch Validierung non-formal und informell erworbener Kompetenzen, S. 235-248).

Intelligenztests werden für berufliche/gesellschaftliche Selektionsprozesse genutzt, dabei haben diese ihren Ursprung in einer behavioristischen Logik und sollen Auskunft über zukünftige Dispositionen geben. Dieser Determinismus stößt auf Kritik. Siehe dazu auch Ursache – Wirkung: Die Intellektualistische Legende. Es wird immer wieder vorgeschlagen, das Konstrukt “Intelligenz” auszudifferenzieren. Folgender Text soll das beispielhaft aufzeigen:

“Inhaltlich hat sich das Intelligenzkonzept in den letzten 100 Jahren ausdifferenziert (vgl. Funke u. Vatterodt-Plünnecke 2004): An der Stelle einer einzigen Intelligenzdimension (´general intelligence´, g-Faktor) ist heute die Konzeption multipler Intelligenzen im Sinne unterschiedlicher Teilkompetenzen (z.B. logisches Schlussfolgern, verbale Intelligenz, kreatives Problemlösen, emotionale Kompetenz, Körperbeherrschung) getreten, für die jeweils andere Erfassungsinstrumente benötigt werden” (Funke 2006).

Gerade in Zeiten von Künstlicher Intelligenz ist es wichtig, auch über die Menschliche Intelligenz zu sprechen. Daraus ergibt sich die Frage, wie passen Künstliche Intelligenz und Menschliche Intelligenz zusammen? Interpretieren wir die von Funke angesprochene Ausdifferenzierung des Intelligenzkonzepts, so führt das meines Erachtens direkt zur Reflexiven Modernisierung und der dort thematisierten Entgrenzung. Möglicherweise hat Gardner´s Theorie der Multiplen Intelligenzen eine bessere Passung zu den aktuellen Entwicklungen. Siehe dazu auch Hybrid Intelligence: Menschliche und Künstliche Intelligenz.

Siehe dazu auch Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Übernimmt die Künstliche Intelligenz jetzt alles?

Die schon vor Jahrzehnten thematisierte “Künstliche Intelligenz” basiert auf der Annahme “that every aspect of learning or any other feature of intelligence can in principle be so precisely described that a machine can be made to simulate it” (McCarthy et al., 1955:2). Die aktuellen Entwicklungen von ChatGPT 3.5 oder ChatGPT 4 (um nur Beispiele zu nennen) scheinen McCarthy zu bestätigen . Es hat den Anschein, als ob die Künstliche Intelligenz alle Lebensbereiche verändert, erweitert oder sogar ganz übernimmt (z.B. bestimmte Arbeitsbereiche). Doch ist das wirklich so? Dazu habe ich folgenden Text gefunden:

KI als neue Weltlenkerin? Nein! Zumindest für absehbare Zeit ist ein solches Horrorszenario nicht zu befürchten. Zwar werden die Änderungen im Alltagsleben durch KI stärker als bisher erkennbar – aber trotzdem: Bei KI-Systemen handelt es sich bei weitem nicht um eine dem Menschen vergleichbare Intelligenz, sondern eher um sehr spezifische Nischenfähigkeiten, die bei eng definierten Aufgaben überlegen sind, aber außerhalb ihres Daseinszwecks oft bei den einfachsten Tätigkeiten scheitern. Sie können viel, haben aber klare Limitationen. Während Alpha Zero, eine Schach-KI, zwar den Schachweltmeister besiegen kann, fehlt Computern eigener Antrieb, Willensfreiheit, Bewusstsein, Fähigkeit zur Selbstreflexion und Verständnis unserer Welt. Sinn, Verstehen und Verantwortung sind Konzepte, die für KI schon kategorial unpassend sind. KI kann damit auch weder böswillige noch heimtückische Intentionen verfolgen und auch keine Verantwortung für ihr Tun übernehmen – verantwortlich ist und bleibt der Mensch” (Ehlers, U.-D. (2023:271-272): Wie wollen wir leben?, in Schmohl et al. (Hrsg.) (2023): Künstliche Intelligenz in der Hochschulbildung, S. 271-278.

Den Hinweis auf einen Kategorienfehler hat auch Howard Gardner in seiner Betrachtung von menschlicher Intelligenz thematisiert, und damit die menschliche Intelligenz von den Möglichkeiten einer Künstlichen Intelligenz unterschiedenen. Siehe dazu auch

Artificial Intelligence Index Report 2023

Alle sprechen und schreiben über Künstliche Intelligenz (KI) – oder englischsprachig Artificial Intelligence (AI) -wobei vieles auch bewusst tendenziell dargestellt wird. Die Befürworter schreiben alles schön, und die Gegner alles schlecht, doch dazwischen gibt es noch ein Kontinuum von Möglichkeiten. So eine differenzierte Betrachtung findet man oftmals nur in wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Beispielsweise haben verschiedene Autoren den Artificial Intelligence Index Report 2023 veröffentlicht, der viele verschiedene Perspektiven auf das Thema beleuchtet.

Quelle: Nestor Maslej, Loredana Fattorini, Erik Brynjolfsson, John Etchemendy, Katrina Ligett, Terah Lyons, James Manyika, Helen Ngo, Juan Carlos Niebles, Vanessa Parli, Yoav Shoham, Russell Wald, Jack Clark, and Raymond Perrault, “The AI Index 2023 Annual Report,” AI Index Steering Committee, Institute for Human-Centered AI, Stanford University, Stanford, CA, April 2023 | PDF.

Der Report enthält 10 Takeaways:
1Industry races ahead of academia.
2Performance saturation on traditional benchmarks.
3AI is both helping and harming the environment.
4The world’s best new scientist … AI?
5The number of incidents concerning the misuse of AI is rapidly rising.
6The demand for AI-related professional skills is increasing across virtually every American industrial sector.
7For the first time in the last decade, year-over-year private investment in AI decreased.
8While the proportion of companies adopting AI has plateaued, the companies that have adopted AI continue to pull ahead.
9Policymaker interest in AI is on the rise.
10Chinese citizens are among those who feel the most positively about AI products and services. Americans … not so much.
ebd. Seiten 3-4.

Wir befassen uns aktuell auch mit dem Möglichkeiten, KI im Projektmanagement einzusetzen. Dabei testen wir gerade speziell die Nutzung von ChatGPT im klassischen, plangetriebenen Projektmanagement. Siehe dazu auch Motivationsfaktoren und Fragen für den Einstieg in das Thema Künstliche Intelligenz (KI).

In den von uns entwickelten Blended Learning Lehrgängen Projektmanager/in (IHK) und Projektmanager/in AGIL (IHK) gehen wir auf diese Zusammenhänge ein. Informationen zu den Lehrgängen und zu Terminen finden Sie auf unserer Lernplattform.

Anmerkungen zu Growth Mindset, Intelligenz und Kompetenz

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Der Begriff Mindset wird in den aktuellen Diskussionen zu Agilität, Transformation etc. fast inflationär verwendet. In dem Beitrag Mindset: Ein oft verwendeter Begriff etwas genauer betrachtet wird allerdings auch deutlich, dass die möglichen Nebenfolgen des Mindset-Konzepts kaum thematisiert werden. Zusätzlich habe ich in dem Beitrag Growth Mindset, Agilität und Multiple Intelligenzen einige Zusammenhänge zu dem von Caroll S. Dweck propagierten Growth Mindset aufgezeigt. Ich habe mir dazu zunächst einmal das ursprüngliche Paper angesehen, auf das die Idee eines Growth Mindset zurückgeht.

Dweck, C. S.; Leggett, E. L. (1988): A Social-Cognitive Approach to Motivation and Personality. Psychological Review 1988, Vol. 95, No. 2,256-273 | PDF.

Darin verbinden die beiden Autorinnen den Begriff Mindset mit der Vorstellung über Intelligenz. Mit der Veröffentlichung Dweck, C. S. (2008): Mindset: The New Psychology of Success kam dann die Verbreitung ihrer Gedanken so richtig in Schwung. Faszinierend für mich ist, die deutliche Korrelation zum Intelligenz-Begriff.

“Some believe their success is based on innate ability; these are said to have a ´fixed´ theory of intelligence (fixed mindset). Others, who believe their success is based on hard work, learning, training and doggedness are said to have a ´growth´ or an ´incremental´ theory of intelligence (growth mindset)” (Quelle).

Zusammenfassend kann man es wie folgt auf den Punkt bringen:

Fixed MindsetGrowth Mindset
Intelligence is staticIntelligence can be developed

Es stellt sich nun die Frage, was hier unter Intelligenz verstanden wird. Ist es das Intelligenzverständnis, das von einer generellen Intelligenz ausgeht und diese mit einem IQ ausdrückt? Der Bezug zu einem eher generellen Intelligenzverständnis , das sich in einem IQ manifestiert und im Großen und Ganzen nicht veränderbar ist, würde mit den Überlegungen von Caroll S. Dweck wohl eher nicht gut zusammenpassen.

Es gibt allerdings durchaus auch ein Intelligenzverständnis, das von einer veränderbaren, entwickelbaren Intelligenz ausgeht. Protagonisten sind beispielsweise Sternberg und Howard Gardner. Siehe dazu etwas ausführlicher Intelligenztheorie: Anmerkungen zu Sternbergs Triarchischen Theorie und Gardners Multiple Intelligenzen Theorie. Es zeigt sich meines Erachtens durchaus, dass das Konzept eines Growth Mindsets eine gute Passung zu Gardner´s Theorie der Multiplen Intelligenzen hat.

Weiterhin sollte noch beachtet werden, dass sich das Konzept eines Growth Mindsets auf Motivation und Persönlichkeitseigenschaften bezieht, und Persönlichkeitseigenschaften keine Kompetenzen darstellen. Ein Growth Mindset und ein dynamisches Intelligenzkonstrukt wie es die Theorie der Multiplen Intelligenzen darstellt müssen noch in die Welt der Kompetenzen “überführt” werden. Siehe dazu auch Kompetenz und Intelligenz – eine Gegenüberstellung. Multiplen Intelligenzen werden in einem Kontext (berufliche Domäne) situativ aktiviert, um (komplexe) Probleme zu lösen (Complex Problem Solving). Die so entstehenden Multiplen Kompetenzen können auf der individuellen Ebene, der Gruppenebene, der organisationalen Ebene und der Netzwerkebene entwickelt werden.

Siehe dazu auch Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Interaktive Dialogmethoden sind entscheidend im Umgang mit Unsicherheiten

Fraunhofer Magazin 1.2023, Seite 66

Im einem Gespräch (Fraunhofer Magazin 1.2023) mit Dr. Philine Warnke, Leiterin des Geschäftsfeld Zukunftsdialoge beim Fraunhofer ISI, ging es auch um die Frage, wie wir mit den zunehmenden Unsicherheiten umgehen sollten. Interessant für mich war, dass die Forscher natürlich moderne technische Systeme nutzen, doch das möglicherweise nicht ausreicht.

“Wir nutzen zwar auch Machine-Learning-Methoden, um das, was in der Gegenwart passiert, besser wahrnehmen zu können. Zum Beispiel, um in den Sozialen Medien schneller zu sehen, in welchen Bereichen eine große Dynamik zu erkennen ist. Aber das sind nur Hilfsmittel. Viel entscheidender sind interaktive Dialogmethoden wie Workshops oder Zukunftswerkstätten. Dort bringen wir Leute zusammen, die sich darüber austauschen, was diese Änderungen überhaupt bedeuten, und das eigene Vorstellungsvermögen erweitern. Es ist entscheidend, diese kollektive menschliche Intelligenz zu nutzen” (Fraunhofer Magazin 1.2023, Seite 67).

Dieses Statement bestätigt, die Auffassung von Sozialwissenschaftlern wie Fritz Böhle (2009), dass diese Unsicherheiten von Menschen zwar nicht beherrscht, dennoch bewältigt werden können. Siehe dazu auch Uncertainty was always a problem – so what? Dabei kommt den individuellen Dispositionen zur Bewältigung der Unsicherheiten eine besondere Rolle zu. In diesem Sinne spielen Kompetenzen als Selbstorganisationsdispositionen auf der individuellen Ebene, auf Teamebene, auf organisationaler Ebene und auf der Netzwerkebene eine Große Rolle. Nun ist der Zusammenhang Kompetenz-Intelligenz noch u klären.

In dem Beitrag Kompetenz und Intelligenz – eine Gegenüberstellung wird erläutert, wie die Begriffe zusammenhängen, bzw. sich unterscheiden. Wichtig ist hier jedoch zu erkennen, dass der Kompetenzbegriff mit dem traditionellen Verständnis von Intelligenz verglichen wird. Interessant ist aus meiner Sicht, gerade in komplexen Problemlösungssituationen die von Howard Gardner vorgeschlagene Entgrenzung des Intelligenz-Konstrukts mit in die gesamte Diskussion einzubeziehen. Siehe dazu auch Multiple Intelligenzen nach Howard Gardner und Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Solche Zusammenhänge thematisieren wir auch in den von uns entwickelten Blended Learning Lehrgängen, die wir an verschiedenen Standorten anbieten. Weitere Informationen zu den Lehrgängen und zu Terminen finden Sie auf unserer Lernplattform.

Intelligentes Wissen – was ist darunter zu verstehen?

Wie schon mehrfach in unseren Blogbeiträgen erwähnt, spielt der Umgang mit “Wissen” in der heutigen Arbeitswelt eine immer wichtigere Rolle (Wissensmanagement). Dabei wird Wissen oft in verschiedene Dimensionen unterteilt: Implizites/Explizites Wissen, Träges Wissen, Organisationales Wissen, Prozedurales Wissen usw. Interessant ist der Hinweis auf ein intelligentes Wissen.

Intelligentes Wissen bezeichnet ein Wissen, das abrufbar, vielfältig anwendbar und vielfach vernetzt ist. [Anmerkung]: Das Interesse von Unternehmen ist oft darauf gerichtet, implizites und träges Wissen der Mitarbeiter in explizites und unterschiedlichen Nutzern zur Verfügung stehendes intelligentes Wissen zu überführen (´Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß.´)” (Kirchhöfer 2004:60).

Interessant ist hier die Verbindung von den beiden Konstrukten “Intelligenz” und “Wissen”. Dabei ist allerdings nicht erläutert, was unter “Intelligenz” zu verstehen ist. Immerhin gibt es neben dem klassischen IQ noch weitere Ansätze, wie z.B. der von Sternberg oder auch von Howard Gardner (Multiple Intelligenzen). Oder ist eher der heute so wichtige Begriff einer “Künstlichen Intelligenz” gemeint? Ich würde mir wünschen, wenn alle die den Begriff “Intelligenz” oder auch “Smart” verwenden erläutern, was sie darunter verstehen.

Warum ist das wissenschaftliche Wissen weniger sicher als das Alltagswissen?

In Zeiten von Corona haben wir sehr viel von Wissenschaftlern erfahren, die ihr Wissen – oder eben das fehlende Wissen – über den Erreger mit der Gesellschaft geteilt haben. Dabei wurde immer wieder deutlich, dass es in diesem Zusammenhang noch viel zu erforschen gibt, und dass das Wissen über den Erreger noch unvollständig ist. Das wissenschaftliche Wissen ist hier also ein zeitlich begrenztes Wissen, das sich sehr schnell ändern kann. Wissen ist hier immer auch vorläufig und muss sich immer wieder zur Disposition stellen (vgl. dazu ausführlich Meier, A. (2020): In Science We Trust: Überlegungen zum Wissen der Wissenschaften. In: Horatschek, A. M. (Hrsg.) (2020): Competing Knowledges – Wissen im Widerstreit. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, Band 9). Einen Vergleich zwischen dem Alltagswissen und dem wissenschaftlichen Wissen stellt Luhmann beispielhaft dar.

„Das wissenschaftliche Wissen ist weniger sicher als das Alltagswissen. In der Interpretation von Wahrnehmungen des Alltags entstehen normalerweise keine Zweifel. Eine Rose, die man sieht, ist eine Rose, oder jedenfalls doch eine Blume. Ganz anders die Interpretation der Ergebnisse von Experimenten oder sonstigen wissenschaftlichen ´Daten‘. Durch Wissenschaft wird nicht Sicherheit, sondern gerade Unsicherheit gesteigert – in gerade noch tolerierbaren Grenzen“ (Luhmann 1990: 325, zitiert in Meier, A. (2020)).

Viele Menschen haben in Zeiten von Corona verstehen müssen, dass wissenschaftliches Wissen nicht “endgültig” ist. Der Umgang mit Wissenschaft und dem daraus generierten Wissen muss von vielen neu gelernt werden, denn die meisten Menschen haben mit wissenschaftlicher Arbeit wenig zu tun. An dieser Stelle kommen dann die Stammtischparolen und Fake News ins Spiel, die sich diese Gesamtsituation zu nutze machen. Lassen Sie sich von solchen Gruppen nicht beeinflussen und orientieren Sie sich an dem Wahlspruch der Aufklärung: Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ganz praktisch können Sie damit anfangen nachzufragen/nachzuforschen, auf welche Quellen sich eine Aussage bezieht. In unserem Blog haben wir beispielsweise von Anfang an darauf großen Wert gelegt, immer die benutzen Quellen anzugeben. Auf Basis unserer bereitgestellten Information können Sie sich dann Ihre eigene Meinung bilden – Wissen konstruieren (Konstruktivistische Lerntheorie).

So gehen wir auch in den von uns entwickelten Lehrgängen vor. Informationen zu den von uns entwickelten Blended Learning Lehrgängen Projektmanager/in (IHK) und Projektmanager/in AGIL (IHK) und zu aktuellen Terminen finden Sie auf unserer Lernplattform.

Personalauswahl und Personalentwicklung: Besseres Kompetenzverständnis statt Persönlichkeitstests?

Es ist ein veritables Geschäftsmodell, Persönlichkeitstests in Organisationen für die Personal- und Organisationsentwicklung zu nutzen. Doch sind Persönlichkeitstests mit ihren vielfältigen statistischen Auswertungen wirklich geeignet, die erforderlichen Handlungen verschiedenen Kontexten in irgendeiner Form vorherzusagen? Solche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge hat schon Ryle in seiner Intellektualistischen Legende zumindest infrage gestellt. Ein weiterer Kritiker der Persönlichkeitseigenschaften ist John Erpenbeck, der dafür auch einige Argumente aufführt.

“Die Frage, wie Kompetenzmodelle gestaltet werden können, wird maßgeblich durch das zugrunde liegende Kompetenzverständnis beantwortet (vgl. Arnold & Erpenbeck 2014). Noch immer werden in zahlreichen Unternehmen und Organisationen wunderbar objektive, reliable und valide Persönlichkeitstests eingesetzt und von versierten, testtheoretisch bestens geschulten und statistische Methoden perfekt beherrschenden Psychologen zu einem Maßstab von Personalauswahl und Personalentwicklung gemacht. Dagegen gibt es ernsthafte Einwände (vgl. Erpenbeck & Hasebrook 2011, S. 227–262). Der ursprüngliche Glaube, durch Intelligenz- und Persönlichkeitstests vernünftige Vorhersagen über das Potenzial an Handlungs- und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter zu treffen, wurde von McClelland (1972, S. 134–156) und von Boyatzis (1982) bereits frühzeitig widerlegt. Kompetenzen schlagen sich nämlich immer in Handlungen nieder. Sie sind keine Persönlichkeitseigenschaften (vgl. Erpenbeck & Hasebrook 2011, S. 227–262). Die sehr stabilen Persönlichkeitseigenschaften sind für Unternehmen bei der Einschätzung von Mitarbeitern oder Bewerber viel weniger interessant als die vergleichsweise schnell zu entwickelnden Handlungsfähigkeiten in Form von Kompetenzen (Hossiep & Mühlhaus 2005, S. 15 f.). Zudem ist der Schluss von Persönlichkeitseigenschaften auf Handlungsfähigkeiten fragwürdig. Selbst wenn beispielsweise die Persönlichkeitseigenschaft Extraversion zu 90 % mit einer hohen Akquisitionsstärke gekoppelt wäre, kann sich ein Unternehmen gehörig und kostenaufwendig irren, wenn es zufällig an einen der 10 % der Bewerber gerät, der zwar vollkommen extrovertiert, aber bei Akquisitionsaufgaben gänzliche Versager sind” (Sauter/Sauter 2017).

Dabei verbindet Erpenbeck “Intelligenz- und Persönlichkeitstests”. Zu beachten ist dabei, dass Erpenbeck die traditionelle Intelligenzauffassung meint, die sich stark verkürzt über Binet bis heute in einer Zahl, dem IQ, manifestiert. Darüber hinaus gibt es allerdings auch Intelligenz-Konstrukte, die eine etwas andere Auffassung von Intelligenz vertreten. Neben Sternberg, Salovay/Mayer etc. ist es auch Howard Gardner, der von Multiplen Intelligenzen spricht, die sich in den verschiedenen Kontexten einer (komplexen) Problemlösung zeigen, und somit zu Multiplen Kompetenzen werden. Diese so verstandenen Multiplen Kompetenzen können allerdings nicht direkt aus den Multiplen Intelligenzen in einer Ursache-Wirkung-Betrachtung abgeleitet und bestimmt werden.

Siehe dazu auch Rauner, der auf domänenspezifische Kompetenzen in Zusammenhang mit der Multiple Intelligenzen Theorie von Howard Gardner verweist (Blogbeitrag), Kompetenz und Intelligenz – eine Gegenüberstellung, und Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Anmerkungen zu “Die Intelligente Kulturorganisation”

Der Umgang mit Wissen ist in jeder Branche, ja in jeder Organisation, etwas anders. Es ist daher gut, wenn sich ein Forschungsprojekt beispielsweise mit der Theaterbranche beschäftigt. In Heidelberger, E. (2022): Die Intelligente Kulturorganisation. Management von Informations- und Wissensnetzwerken im Theaterbetrieb werden u.a. die Grundlagen für die vielfältige Betrachtungsweisen auf das Konstrukt “Wissen” ausführlich zusammengefasst, und später auf die Theaterbranche (ich schreibe absichtlich nicht Theaterbetrieb) übertragen. Dabei werden hilfreiche Impulse abgeleitet

In dem theoretischen Bezugsrahmen (ebd. S. 37ff.) wird nach der Klärung der Begriffe Information und Wissen direkt auf die im Titel der Veröffentlichung erwähnte “Intelligente Organisation” eingegangen. Ich möchte mich mit meinen späteren Anmerkungen auf diesen Teil der Veröffentlichung konzentrieren. Zunächst wird die menschliche und anschließend noch die Organisationale Intelligenz thematisiert.

“Unter dem Begriff der menschlichen Intelligenz versteht man alle kognitiven Fähigkeiten des Menschen (vgl. Lehner 2019: 169). Auch hier gilt aber: »Je flexibler das menschliche Gehirn auf neue Anforderungen reagieren kann und je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass neues Wissen mit alten Wissensbeständen verknüpft werden kann, umso höher ist die Intelligenz einer Person anzusetzen […].« (Haun 2002: 71).” zitiert ebd. S. 60, Fußnote)

Bei der Organisationalen Intelligenz ist es etwas komplexer, da dieser Begriff mit der Systemtheorie, der Netzwerktheorie, und dem organisationalen Lernen verknüpft wird. Daraus ergeben sich laut dieser Studie folgende vier Eigenschaften der Intelligenten Organisation (ebd. S. 63)::

Intelligente Organisationen haben eine sehr hohe Reaktionsfähigkeit.

Intelligente Organisationen verfügen über große Reflexionsfähigkeit, Problemlösefähigkeit und Lernfähigkeit.

Intelligente Organisationen haben ein Erinnerungsvermögen.

Intelligente Organisationen verfügen über eine hohe soziale Kompetenz.

Nun meine Anmerkungen dazu: Es wird leider kaum thematisiert, dass es durchaus auch andere Beschreibungen des Konstrukts “Menschliche Intelligenz” gibt, beispielsweise von Sternberg, Gardner, Salovay/Meyer etc), die als Erweiterungen zur üblichen Beschreibung von Intelligenz angesehen werden können.

Weiterhin kommt der Begriff´ “Künstliche Intelligenz” oder auch “Artificial Intelligence” recht kurz vor (Matsuda 1988), obwohl dieser Bereich in der Zwischenzeit sehr dominant diskutiert wird.

Darüber hinaus kommt der Begriff “Kompetenz” vor, ohne dass klar ist, was darunter in Bezug zu “Intelligenz” zu verstehen ist (Siehe dazu auch Kompetenz und Intelligent – eine Gegenüberstellung). Gerade das Konstrukt “Kompetenz” hat hier eine pädagogische (Bottom UP) und eine betriebswirtschaftliche Ebene,(Top Down) die über alle Ebenen (Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk) gestaltet werden sollten.

Jetzt stellen Sie sich als Leser bestimmt die Frage, ob ich nur kritisieren kann, oder ob ich auch Vorschläge habe, wie mit diesen Themen umgegangen werden sollte. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die vielen Blogbeiträge, und beispielhaft auf folgende Veröffentlichungen. hinweisen:

Freund, R. (2016): Cognitive Computing and Managing Complexity in Open Innovation Model. Bellemare, J., Carrier, S., Piller, F. T. (Eds.): Managing Complexity. Proceedings of the 8th World Conference on Mass Customization, Personalization, and Co-Creation (MCPC 2015), Montreal, Canada, October 20th-22th, 2015, pp. 249-262 | Springer (Special Keynote)

Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk hinweisen.

Kompetenzen, Regeln, Intelligenz, Werte und Normen – Wie passt das alles zusammen?

In verschiedenen Blogbeiträgen bin ich schon auf die Besonderheiten von Kompetenzen eingegangen. Beispielsweise in Kompetenz, Qualifikation, Performanz und Können, Kompetenz und Intelligenz – eine Gegenüberstellung oder Der Schluss von Persönlichkeitseigenschaften auf Kompetenz ist falsch. John Erpenbeck hat auch auf die vielfältigen Bezüge hingewiesen, und dabei sogar auf die emotionale Intelligenz verwiesen.

“Es gibt keine Kompetenzen ohne physische oder geistige Fertigkeiten, ohne Wissen, ohne Qualifikationen. Fertigkeiten, Wissen, Qualifikationen sind jedoch keine Garanten für Kompetenzen. Als tatenarm und gedankenvoll hatte Hölderlin einst die Deutschen gegeißelt. Der Fachidiot, der alles weiß und wenig kann, ist ein Schimpfwort. Jeder kennt, keiner mag den hoch qualifizierten Inkompetenten. Kompetenzen sind mehr als Fertigkeiten, Wissen und Qualifikationen, sie sind etwas anderes. Eben weil sie konstitutiv interiorisierte Regeln, Werte und Normen als Kompetenzkerne enthalten. Ihr Erwerb erfordert nicht nur fachlich-methodische, sondern auch emotionale Intelligenz.” (Erpenbeck, J. (2012:14): Was »SIND« Kompetenzen? In: Werner G. Faix (Hrsg.): Kompetenz. Festschrift Prof. Dr. John Erpenbeck zum 70. Geburtstag, S. 1-57).

Bei dem Thema Regeln- und Wertebasiertheit kann ein direkter Bezug zu den Werten im agilen Umfeld (Agiles Manifest) hergestellt werden. So verstandene Kompetenzen sind gerade in komplexen Problemlösungssettings gefragt und können erworben und weiterentwickelt werden. Dabei spielt allerdings auch die emotionale Ebene eine wichtige Rolle. Diese wird in meinen Augen bei der Diskussion um eine Digitalisierung von allen und allem sträflich vernachlässigt.

Erpenbeck adressiert diese emotionale Ebene mit dem Begriff der Emotionalen Intelligenz, der von Salovay/Mayer in einem Paper erläutert und später von Goleman populär gemacht wurde. Interessant dabei ist, dass in dem Paper von Salovay/Mayer direkt auf Gardner hingewiesen wurde, der von einer Multiplen Intelligenz ausgeht. Diese Zusammenhänge von Kompetenz, komplexem Problemlösen und Multiplen Intelligenzen auf verschiedenen Ebenen habe ich in einem Buch hergeleitet und begründet > Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk, in verschiedenen Konferenzpaper veröffentlich, und mit Kollegen diskutiert (Veröffentlichungen).

In dem von uns entwickelten Blended Learning Lehrgang Projektmanager/in Agil (IHK) gehen wir auf diese Zusammenhänge ein. Weitere Informationen zu den Lehrgängen und zu Terminen finden Sie auf unserer Lernplattform.