Personalauswahl und Personalentwicklung: Besseres Kompetenzverständnis statt Persönlichkeitstests?

Es ist ein veritables Geschäftsmodell, Persönlichkeitstests in Organisationen für die Personal- und Organisationsentwicklung zu nutzen. Doch sind Persönlichkeitstests mit ihren vielfältigen statistischen Auswertungen wirklich geeignet, die erforderlichen Handlungen verschiedenen Kontexten in irgendeiner Form vorherzusagen? Solche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge hat schon Ryle in seiner Intellektualistischen Legende zumindest infrage gestellt. Ein weiterer Kritiker der Persönlichkeitseigenschaften ist John Erpenbeck, der dafür auch einige Argumente aufführt.

“Die Frage, wie Kompetenzmodelle gestaltet werden können, wird maßgeblich durch das zugrunde liegende Kompetenzverständnis beantwortet (vgl. Arnold & Erpenbeck 2014). Noch immer werden in zahlreichen Unternehmen und Organisationen wunderbar objektive, reliable und valide Persönlichkeitstests eingesetzt und von versierten, testtheoretisch bestens geschulten und statistische Methoden perfekt beherrschenden Psychologen zu einem Maßstab von Personalauswahl und Personalentwicklung gemacht. Dagegen gibt es ernsthafte Einwände (vgl. Erpenbeck & Hasebrook 2011, S. 227–262). Der ursprüngliche Glaube, durch Intelligenz- und Persönlichkeitstests vernünftige Vorhersagen über das Potenzial an Handlungs- und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter zu treffen, wurde von McClelland (1972, S. 134–156) und von Boyatzis (1982) bereits frühzeitig widerlegt. Kompetenzen schlagen sich nämlich immer in Handlungen nieder. Sie sind keine Persönlichkeitseigenschaften (vgl. Erpenbeck & Hasebrook 2011, S. 227–262). Die sehr stabilen Persönlichkeitseigenschaften sind für Unternehmen bei der Einschätzung von Mitarbeitern oder Bewerber viel weniger interessant als die vergleichsweise schnell zu entwickelnden Handlungsfähigkeiten in Form von Kompetenzen (Hossiep & Mühlhaus 2005, S. 15 f.). Zudem ist der Schluss von Persönlichkeitseigenschaften auf Handlungsfähigkeiten fragwürdig. Selbst wenn beispielsweise die Persönlichkeitseigenschaft Extraversion zu 90 % mit einer hohen Akquisitionsstärke gekoppelt wäre, kann sich ein Unternehmen gehörig und kostenaufwendig irren, wenn es zufällig an einen der 10 % der Bewerber gerät, der zwar vollkommen extrovertiert, aber bei Akquisitionsaufgaben gänzliche Versager sind” (Sauter/Sauter 2017).

Dabei verbindet Erpenbeck “Intelligenz- und Persönlichkeitstests”. Zu beachten ist dabei, dass Erpenbeck die traditionelle Intelligenzauffassung meint, die sich stark verkürzt über Binet bis heute in einer Zahl, dem IQ, manifestiert. Darüber hinaus gibt es allerdings auch Intelligenz-Konstrukte, die eine etwas andere Auffassung von Intelligenz vertreten. Neben Sternberg, Salovay/Mayer etc. ist es auch Howard Gardner, der von Multiplen Intelligenzen spricht, die sich in den verschiedenen Kontexten einer (komplexen) Problemlösung zeigen, und somit zu Multiplen Kompetenzen werden. Diese so verstandenen Multiplen Kompetenzen können allerdings nicht direkt aus den Multiplen Intelligenzen in einer Ursache-Wirkung-Betrachtung abgeleitet und bestimmt werden.

Siehe dazu auch Rauner, der auf domänenspezifische Kompetenzen in Zusammenhang mit der Multiple Intelligenzen Theorie von Howard Gardner verweist (Blogbeitrag), Kompetenz und Intelligenz – eine Gegenüberstellung, und Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

“Digitale Kompetenzen” oder besser “Kompetenzen in digitalen Kontexten”?

Wir alle wissen und merken es tagtäglich, dass die Digitalisierung in allen Bereichen der Gesellschaft fortschreitet. Im privaten Bereich und in wirtschaftlich geprägten Organisationen geht diese Entwicklung oftmals recht schnell, in den Verwaltungen könnte es in vielen Bereichen etwas schneller gehen. Um die Veränderungen zu bewältigen, benötigen Menschen in allen Bereichen entsprechende Kompetenzen, die in Bezug auf die Digitalisierung “Digitale Kompetenzen” genannt werden – es ist eben heute alles digital, oder? Dabei stelle ich mir die Frage, können Kompetenzen digital sein, oder ist der Begriff ein wenig irreführend? Um das herauszufinden, sollten wir uns erst einmal klar machen, was wir unter Kompetenzen verstehen, denn es gibt eine sehr große Anzahl an Kompetenz-Konstrukten (Beispiel).

Meine Überlegungen sind dazu (kurz dargestellt) wie folgt: Die Soziologen nennen die gesellschaftliche Modernisierung schon lange Reflexive Modernisierung, deren Eigenschaften u.a. Entgrenzung (z.B. von Arbeit), Kontingenz usw. sind (Ich erspare Ihnen hier eine ausführliche Auflistung). Worauf ich hinaus will ist, dass Menschen in so einem Umfeld in der Lage sein sollten, Situationen zu bewältigen. Ich möchte hier den Begriff “bewältigen” noch einmal hervorheben, da es nicht darum geht die komplexen, kontingenten usw. Situationen zu beherrschen, denn das geht nicht. Die Bewältigung enthält somit im Vergleich zur Beherrschung oder zur Verzweiflung eine positive Komponente. Auf Grundlage dieser Überlegungen bin ich zu den Einschätzungen von Erpenbeck/Heyse gekommen, die für die Beewältigung erforderlichen Eigenschaften als Kompetenz im Sinne von Selbstorganisationsdispositionen beschreiben. Ähnliche Überlegungen habe ich nun in der aktuellen Dissertation Derya Catakli (2022): Verwaltung im digitalen Zeitalter. Die Rolle digitaler Kompetenzen in der Personalakquise des höheren Dienstes gefunden. Dabei wird auch auf die im Titel des Blogbeitrags erwähnte Frage eingegangen.

“Entsprechend der hier genutzten Kompetenzdefinition sind digitale Kompetenzen diejenigen Selbstorganisationsdispositionen, die für die Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit in digitalen Kontexten nutzbar gemacht werden können und das Individuum in der digitalen Gesellschaft zum selbstorganisierten, kreativen und lösungsbezogenen Umgang mit digitalen Technologien unter Berücksichtigung transdisziplinärer Erkenntnisse befähigen. Kompetenzen, die zwar im digitalen Zeitalter ebenfalls zunehmend wichtiger werden, aber nicht ausschließlich im digitalen Kontext benötigt werden, bleiben in der weiteren Bearbeitung unberücksichtigt” (ebd. S. 84).

Wenn wir also statt “Digitale Kompetenzen” besser “Kompetenzen in digitalen Kontexten” nutzen wird deutlicher, dass es immer um einen Teilbereich von Kompetenzen (Selbstorganisationsdispositionen) geht und weitere Kompetenzen im Zusammenspiel zur komplexen Problemlösung erforderlich sind. Dabei wäre der Schluss von Persönlichkeitseigenschaften auf Kompetenzen falsch.

Als Leser unseres Blogs wissen Sie, dass ich mich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit Selbstorganisation und damit auch mit Kompetenzen auseinandergesetzt habe. Am Beispiel der Konvergenzthese habe ich aufgezeigt, dass es einen betriebswrtschaftlichen Ansatz gibt (Ressource based), der eher Top Down angelegt ist, und dass es einen eher pädagogischen Ansatz gibt (Selbstorganisiertes Lernen), der eher Bottom Up vorgeht. Was aus meiner Sicht fehlte, war ein ebenenübergreifender Ansatz (Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk), der die oben genannten Perspektiven integriert. Siehe dazu ausführlich Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisationn und Netzwerk.

In den von uns entwickelten Blended Learning Lehrgängen Projektmanager/in (IHK) und Projektmanagerin Agil (IHK) gehen wir auf diese Zusammenhänge ein. Informationen zu den Lehrgängen und zu Terminen finden Sie auf unserer Lernplattform.

Anmerkungen zu einem Modell der Kaufmännischen Kompetenz

Darstellung entnommen aus Winter/Achtenhagen (2010: 19): Berufsfachliche Kompetenz: Messinstrumente und empirische Befunde zur Mehrdimensionalität beruflicher Handlungskompetenz, in: BWP 1/2010, S. 18-21.

Die Kaufmännische Kompetenz wird in der Darstellung als übergeordnete Kompetenzdimension dargestellt, die sich in eine domänenverbundene Kompetenz und in eine domänenspezifische Kompetenz aufteilt. Beide Dimensionen haben wiederum Teilbereiche, die einen bestimmten Zugriff auf Inhaltsbereiche der Domäne ermöglichen.

Mich erinnern die verschiedenen Teilbereiche stark an die verschiedenen Dimensionen der Theorie der Multiplen Intelligenzen nach Howard Gardner. Die in der Urform 8 Intelligenzen ermöglichen einen multiplen, komplexen Problemlösungsprozess in einer bestimmten Domäne. Dabei stellt sich die Frage, wie Intelligenz (Multiple Intelligenzen) und Kompetenz zusammenhängen.

“Auf der Grundlage der Multiplen Intelligenzen Theorie (vgl. Gardner 2002) kann man Kompetenzentwicklung als eine „Ausprägung von Fähigkeiten [zu] beschreiben, deren Entwicklung durch spezifische Intelligenzprofile gegeben ist“ (Rauner et al 2009:34) und bei jedem Menschen situationsabhängig unterschiedlich aktiviert wird, „denn jede [Domäne] hat ihre eigenen Gegenstände, Verfahren und Verknüpfungsmodi“ (Gardner 2003:130)” zitiert in Freund (2011:104).

Siehe dazu ausführlich Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Verschenktes Innovationspotenzial durch mangelnde emotionale Bindung der Mitarbeiter?

In der Pressemitteilung zum Gallup EEI 2010 (09.02.2011) wird behauptet, dass jeder fünfte Arbeitnehmer innerlich gekündigt hat. Dies hat auch Auswirkungen auf die Innovationskraft, denn emotional gebundene Mitarbeiter “haben im letzten halben Jahr 40,5 Prozent mehr Anregungen für Verbesserungen eingebracht als ihre ungebundenen Kollegen” (inkrementelle Innovationen, Prozessverbesserungen…). Der Grund für demotivierte Mitarbeiter sind oftmals Führungskräfte, die der emotionalen Bindung von Mitarbeitern kaum beachten schenken und sich nur um die harten Zahlen kümmern. Dass sich die Zeiten geändert haben, und auch Emotionalität zu einer guten Führungskraft gehört, weisen immer noch viele Manager weit von sich. Wie lange noch? Siehe dazu auch Emotionale Intelligenz als Erfolgsfaktor im Beruf (Forschungen der Universität Bonn),  Multiple Intelligenzen im Beruf oder Multiple Kompetenzen.

BWP 1/2010: Berufliche Kompetenzen messen

Das Heft BWP 1/2010: Berufliche Kompetenzen messen befasst sich ausschließlich mit dem aktuellen Thema der Kompetenzmessung im beruflichen Umfeld: “Die Beiträge im Themenschwerpunkt dieser Ausgabe stellen zentrale Modelle und Verfahren zur Kompetenzmessung in der Berufsbildung vor und beleuchten diese vor ihrem Entstehungskontext und mit Blick auf ihre Ziele.” An den verschiedenen Beiträgten ist abzulesen, wie vielfältig das Thema ist und dass es gut ist, wenn mit diesem Heft ein wenig Transparenz geschaffen wird. Obwohl das Thema Kompetenz schon seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert wird, bekommt es durch die gesellschaftlichen Entwicklungen der Reflexiven Modernisierung und der damit verbundenen Handlung unter Unsicherheit eine neue zentrale Rolle. Siehe dazu auch Komplexität, Selbstorganisation oder auch Multiple Kompetenzen.

Emotional Intelligence, Emotional Competencies or what?

Gesicht.jpgIn dem Artikel Emotional Intelligence (July 2006) geht es um die Entwicklung von Mayer und Salovay zu Goleman, der den Begriff über den entsprechenden Bestseller bekannt gemacht hat. Heut spricht leider kaum noch jemand von den Mayer und Salovay… Darüber hinaus wird in dem Artikel auch die interessante Frage diskutiert, ob Emotional Intelligence und Emotional Competence gleich zu setzen sind. Spannend ist diese Frage für mich, da ich mich mit den Überschneidungen und Abgrenzungen zwischen Multiple Intelligenzen und Multiple Kompetenzen befasse.

Wie kann man die Interaktionskompetenz von Unternehmen verbessern?

Teambesprechung.jpgDie Interaktionen zwischen Unternehmen und Kunden spielen eine wichtige Rolle im Geschäftsleben. Aber was versteht man unter Interaktion und welche Ansätze gibt es, diese zu verbessern? In dem sehr lesenswerten Buch von Reichwald/Piller (2006): Interaktive Wertschöpfung (Kostenloser Download) wird als Kern einer Interaktiven Wertschöpfung die Interaktionskompetenz genannt. Wie Sie als Leser meines Blogs wissen, orientiere ich mich bei dem Konstrukt Kompetenz an der Beschreibung von Heyse/Erpenbeck, die darunter Selbstorganisationsdisposition verstehen. Bezieht man sich auf Kompetenz als Selbstorganisationsdisposition, so kann man die Interaktionskompetenz auch als Selbstorganisationsdisposition zur Interaktion mit dem jeweiligen Kunden interpretieren. Mein Paper zur MCPC2007 in Boston befasst sich genau mit diesem Aspekt, wobei ich vorschlage, das Konzept der Multiplen Kompetenzen zu nutzen, da sich die anderen Kompetenzmodelle oftmals auf ein zu statisches und zu wenig umfassendes Verständnis von Kompetenz beziehen.  Auch Grollmann (2005) weist in der Diskussion um Kompetenzmodelle auf den Zusammenhang zwischen der Multiplen Inteligenzen Theorie und der Kompetenzdebatte hin: “Am ehesten scheinen Zugänge geeignet, wie sie z.B. im Rahmen der Diskussion um multiple Kompetenz/Intelligenz entstanden sind.” Mit dem Konzept der Multiplen Kompetenzen kann man die Interaktionskompetenz von Unternehmen verbessern. Das ist aus meiner Sicht eine vielversprechende These, aus der konkrete Vorschläge für Verbesserungen abzuleiten sind.

Was hat die Globalisierung mit einzelnen Jobprofilen zu tun?

Lord Anthony Giddens (Soziologe) hat in der heutigen Ausgabe der Welt am Sonntag (S. 26) unter der Überschrift Eine neue Globalsierung interessante Anmerkungen zum Thema gemacht: “Denn in ihrer nächsten Phase wird sich die Globalisierung auf einzelne Jobs oder Jobprofile auswirken. (…) , da es darauf ankommt, welche Art von Job jemand im Einzelnen macht. (…) Die Berufsausbildung sollte, wo immer möglich, nicht zu speziell sein, da es in Zukunft auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ankommt.” Wieder ein Indiz für meine Auffassung, Jobprofile aus der Sicht der Multiplen Intelligenz zu analysieren und darüber hinaus, Kompetenzentwicklung (Selbstorganisationsdisposition) in den Mittelpunkt zu stellen: Eben Multiple Kompetenzen.

Die Klötzchen-Methode

In dem Beitrag Die Klötzchen-Methode (Welt am Sonntag vom 28.05.2006) berichtet Michael Kirchberger über das von Toyota im englischen Werk Burnaston eröffnete erste europäische Ausbildungszentrum. Es arbeitet mit verblüffenden Übungen. “Auf den ersten Blick sieht es nach Kindergartenspielen aus, doch es sit ernsthafte Ausbildung für Autowerker. Bei Toyota lernen sie den Geruch verschiedener Betriebsstoffe kennen, trainieren ihre Finkerfertigkeit und versuchen, zusammehängende Abläufe schnell zu erfassen.”

Dieser Artikel hat mich spontan an die Multiple Intelligenzen Theorie im Berufsleben und an Rauner´s Konzept der Multiplen Kompetenzen erinnert, in dem es ja um praktisches Wissen und berufliche Handlungskompetenz geht…

Teilnehmer an der Konferenz am 15.11.2006: Kompetenzkapital finden, schaffen, nutzen

kompetenzkapital_konferenz.gifAm 15.11.2006 nehme ich in Frankfurt/Main an der Konferenz “Kompetenzkapital finden, schaffen nutzen. Wege zum Integrierten Kompetenzmanagement (IKM)” teil (Konferenzflyer). Ich möchte mich aus erster Hand über die neuen Entwicklungen informieren. Veranstalter ist die HfB (Business School of Finance and Management) gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung (ABWF)/Qualitäts-Entwicklungs-Management (QUEM). Prof. Barthel beschreib die aktuelle Situation wie folgt: “Innovation ist die Entstehung von etwas Neuem. Wirklich Neues ist nicht planbar oder steuerbar, sondern selbstorganisiert (…). Im Hinblick auf Integriertes Kompetenzmanagement (IKM) gilt es Brücken zwischen den Kompetenzebenen -Individuum, Team und Organisation – zu schlagen.” Gerade mit dieser Thematik befasse ich mich in meiner Dissertation, in der ich auf das Konzept der Multiplen Kompetenzen eingehe.