KI-förderliche Organisationskultur: Übersicht im Leitfaden des Fraunhofer IAO (2023)

Fraunhofer IAO (2023): Leitfaden zu Strategie und Wandel für den KI-Einsatz, in Anlehnung an  Floridi, L.; Cowls, J.: A Unified Framework of Five Principles for AI in Society. Harvard Data Science Review.
https://doi.org/10.1162/99608f92.8cd550d1, veröffentlicht am 23. Juni 2019.

Wenn es um Künstliche Intelligenz geht, wird zu einem großen Teil über die Technik und den damit verbundenen technischen Möglichkeiten gesprochen und geschrieben. Neben der Technik gibt es in Unternehmen allerdings auch noch die Organisation und die Menschen (TOM-Modell). Eine Organisationskultur, die den Einsatz von KI im Unternehmen fördert, sollte somit alle Ebenen adressieren, und auf den Überlegungen von Edgar Schein basieren:

Der Soziologe Edgar Schein versteht folgendes unter Unternehmenskultur: „Ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit diesen Problemen weitergegeben wird“ (Schein, E. (1995)).

Daraus leitet Edgar Schein die Ebenen Grundannahmen, Werte und Normen und Artefakte ab, die manchmal wie ein Eisberg dargestellt werden, bei dem der größte Teil “unter Wasser”, also nicht sichtbar ist In dem vom Fraunhofer IAO 2003 veröffentlichten Leitfaden zu Strategie und Wandel für den KI-Einsatz sind daraus jeweils Maßnahmen einer KI-förderliche Organisationskultur entwickelt worden (Abbildung). Interessant dabei ist, dass in dem Leitfaden auch sehr konkrete Hinweise zur Umsetzung gegeben werden.

Mehr Blogbeiträge zu “Künstliche Intelligenz” finden Sie hier.

Solche Zusammenhänge thematisieren wir auch in den von uns entwickelten Blended Learning Lehrgängen, Projektmanager/in (IHK) und Projektmanager/in Agil (IHK), die wir an verschiedenen Standorten anbieten. Weitere Informationen zu den Lehrgängen und zu Terminen finden Sie auf unserer Lernplattform.

The History of Knowledge: Gab es nicht schon immer Wissensgesellschaften? Befinden wir uns schon in der KI-Gesellschaft?

Der Begriff “Wissensgesellschaft” wird mit Peter Drucker in Zusammenhang gebracht, der schon in den 1960er Jahren erkannt hat, dass in der westlichen Welt nicht mehr die klassischen Ressourcen, sondern verstärkt Wissen Werte schaffen wird. In dem Buch von Östling und Heidenblad (2023): The History of Knowledge wird der Zusammenhang wie folgt dargestellt.

“This concept was coined at the end of the 1960s by American social scientists and intellectuals such as Daniel Bell and Peter Drucker. They maintained that the Western world had entered a new post-industrial state. Here it was no longer raw materials, factories, and labour that created wealth. Instead, people’s knowledge was the most important thing. It was felt that the collected body of knowledge was in a state of exponential growth. When thinkers looked towards the future, they predicted that knowledge – and advanced forms of knowledge work – would only become more important. These ideas were adopted in the 1970s by sociologists and economists, as well as by politicians and journalists. Gradually, the knowledge society became self-defining” (Johan Östling and David Larsson Heidenblad (2023))

In dem genannten Buch wird deutlich, dass es eine sehr lange Geschichte des Wissens (The History of Knowledge) gibt. Insofern können wir unsere heutige Gesellschaft mit “Wissensgesellschaft” titulieren. Wir sollten allerdings auch erkennen, dass der Begriff etwas eingeschränkt nur unsere westliche Perspektive widerspiegelt, und nur einen kleinen zeitlichen Ausschnitt der gesellschaftlichen Entwicklungen beschreibt. Befinden wir uns möglicherweise schon in der nächsten oder übernächsten Phase? Wenn ja, wie wollen wir diese titulieren? Wie wäre es mit die KI-Gesellschaft?

Sollten wir die vielen Krisen nur aus den wirtschaftlichen, technischen, naturwissenschaftlichen Perspektiven betrachten?

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Aktuell hat man den Eindruck, es gibt nur noch Krisen. Die Energiekrise, die Flüchtlingskrise, die Bildungskrise, die wirtschaftliche Krise, politische Krisen etc. deuten im wahrsten Sinne des Wortes Krise auch auf einen Wendepunkt hin. Schwierig wird die Gemengelage dadurch, dass alle Krisen auch noch miteinander vernetzt sind, was die Komplexität erheblich erhöht.

“Eine wichtige Triebkraft für die Dynamik der oben genannten ineinander verwobenen Krisen ist die Abkopplung der naturwissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung von den weiter gefassten Fragen der menschlichen Werte, des guten Lebens und des Wohlergehens” (Gabriel et al (2022:12): Auf dem Weg zu einer Neuen Aufklärung – Ein Plädoyer für zukunftsorientierte Geisteswissenschaften. Dabei beziehen sich die Autoren auf Lima de Miranda and Snower (2020) sowie Gabriel (2020a)).

Die Autoren stellen somit die Frage, ob wir die Bewältigung der Krisen hauptsächlich naturwissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Perspektiven überlassen sollten.

Dabei schlagen sie berechtigt vor, stärker auch die geistes- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven zu beachten und mit einzubeziehen. In diesem Zusammenhang werden auch verschiedene Beispiele genannt. Herausheben möchte ich die allgegenwärtige Dominanz der Informations- und Kommunikationstechnologie, die uns eher treiben als nutzen. Die gesellschaftlichen Nebenfolgen dieser Entwicklungen werden oftmals zu wenig beachtet. Die Autoren schlagen daher in diesem Zusammenhang ein Recoupling vor: “{…] die Einbindung geistes- und sozialwissenschaftlicher Kompetenzen in den Diskurs zur digitalen Transformation, und zwar mit dem Ziel, zwischen erwünschten und unerwünschten Fällen der Automatisierung von Arbeit und der Ersetzung menschlicher Interaktionen und Praktiken durch digitale Systeme unterscheiden zu können” (ebd. S. 13).

Informationen zu den von uns entwickelten Blended Learning Lehrgängen, und zu weiteren Terminen und Standorten, finden Sie auf unserer Lernplattform.

Kompetenzen, Regeln, Intelligenz, Werte und Normen – Wie passt das alles zusammen?

In verschiedenen Blogbeiträgen bin ich schon auf die Besonderheiten von Kompetenzen eingegangen. Beispielsweise in Kompetenz, Qualifikation, Performanz und Können, Kompetenz und Intelligenz – eine Gegenüberstellung oder Der Schluss von Persönlichkeitseigenschaften auf Kompetenz ist falsch. John Erpenbeck hat auch auf die vielfältigen Bezüge hingewiesen, und dabei sogar auf die emotionale Intelligenz verwiesen.

“Es gibt keine Kompetenzen ohne physische oder geistige Fertigkeiten, ohne Wissen, ohne Qualifikationen. Fertigkeiten, Wissen, Qualifikationen sind jedoch keine Garanten für Kompetenzen. Als tatenarm und gedankenvoll hatte Hölderlin einst die Deutschen gegeißelt. Der Fachidiot, der alles weiß und wenig kann, ist ein Schimpfwort. Jeder kennt, keiner mag den hoch qualifizierten Inkompetenten. Kompetenzen sind mehr als Fertigkeiten, Wissen und Qualifikationen, sie sind etwas anderes. Eben weil sie konstitutiv interiorisierte Regeln, Werte und Normen als Kompetenzkerne enthalten. Ihr Erwerb erfordert nicht nur fachlich-methodische, sondern auch emotionale Intelligenz.” (Erpenbeck, J. (2012:14): Was »SIND« Kompetenzen? In: Werner G. Faix (Hrsg.): Kompetenz. Festschrift Prof. Dr. John Erpenbeck zum 70. Geburtstag, S. 1-57).

Bei dem Thema Regeln- und Wertebasiertheit kann ein direkter Bezug zu den Werten im agilen Umfeld (Agiles Manifest) hergestellt werden. So verstandene Kompetenzen sind gerade in komplexen Problemlösungssettings gefragt und können erworben und weiterentwickelt werden. Dabei spielt allerdings auch die emotionale Ebene eine wichtige Rolle. Diese wird in meinen Augen bei der Diskussion um eine Digitalisierung von allen und allem sträflich vernachlässigt.

Erpenbeck adressiert diese emotionale Ebene mit dem Begriff der Emotionalen Intelligenz, der von Salovay/Mayer in einem Paper erläutert und später von Goleman populär gemacht wurde. Interessant dabei ist, dass in dem Paper von Salovay/Mayer direkt auf Gardner hingewiesen wurde, der von einer Multiplen Intelligenz ausgeht. Diese Zusammenhänge von Kompetenz, komplexem Problemlösen und Multiplen Intelligenzen auf verschiedenen Ebenen habe ich in einem Buch hergeleitet und begründet > Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk, in verschiedenen Konferenzpaper veröffentlich, und mit Kollegen diskutiert (Veröffentlichungen).

In dem von uns entwickelten Blended Learning Lehrgang Projektmanager/in Agil (IHK) gehen wir auf diese Zusammenhänge ein. Weitere Informationen zu den Lehrgängen und zu Terminen finden Sie auf unserer Lernplattform.

Open Source Community und die United Nations teilen die gleichen Werte

Open Source kennen und nutzen wir irgendwie alle. Privatpersonen, Unternehmen, Not-for-Profit-Organisationen und staatliche Organisationen. Interessant dabei ist, dass die Open Source Bewegung und die United Nations Organisation (UNO) durchaus ähnliche Werte teilen. Frank Karlitsche (2019:58) beschreibt das in Best of a decade on Opensource.com 2010–2019 wie folgt:

“So, the United Nations and the open source community share the same values. This new open source strategy and policy is developed by the United Nations Technology Innovation Labs (UNTIL). I find this initiative remarkable for several reasons:
Sharing: The United Nations wants to have a positive impact on everyone on this planet. For that goal, it is important that software, data, and services are available for everyone independent of their language, budget, education, or other factors. Open source is perfect to guarantee that result.
Contributing: It should be possible that everyone can contribute to the software, data, and services of the United Nations. The goal is to not depend on a single software vendor alone, but instead, build a bigger ecosystem that drives innovation together.
Empowering: Open source makes it possible for underdeveloped countries and regions to foster local companies and expertise by building on top of existing open source software—standing on the shoulders of giants.
Sustainability: Open source guarantees more sustainable software, data, and services by not relying on a single entity to support, maintain, and develop it. Open source helps to avoid a single point of failure by creating an equal playing field for everyone.
Security: Open source software is more secure than proprietary software because the code can be constantly reviewed and audited. This fact is especially important for security-sensitive applications that require transparency and openness [2].
Decentralization: An open source strategy enables decentralized hosting of software and data. This fact makes it possible to be compliant with all data protection and privacy regulations and enables a more free and open internet”.

Das sind auch die Gründe, warum wir bei unserer Lernplattform (Moodle, Nextcloud, Big Blue Button usw.) und für unseren Blog (WordPress) nutzen.

A G I L nach Parsons und agile Ansätze

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Agilität ist in aller Munde – wer will nicht agil sein? Personen, Teams, Organisationen, Netzwerke, Bereiche, Domänen usw. – alle streben nach Agilität, indem sie ein agiles Mindset etablieren, bzw. Methoden und Rahmenwerke wie Scrum, Kanban, SAFe usw. einführen.

Ich möchte an dieser Stelle eine etwas andere Perspektive vorstellen, denn der Soziologe Talcott Parsons hat schon vor vielen Jahren (1937 und 1951) die Buchstaben A G I L benutzt, um Elemente seiner soziologischen Systemtheorie zu beschreiben. Dabei geht er von folgenden Dimensionen aus:

A (adaptation): die Anpassung des Systems an seine Umwelt
G (goal-attainment): die Definition und Erreichung von Zielen
I (integration): die Integration der Bestandteile des Systems
L (latency): die Wahrung der latenten Muster des Systems (pattern maintenance); das impliziert die Regulierung der Spannungen zwischen den Orientierungsdilemmata der pattern variables (Vester, H.-G. 2009:190).

Diesen Funktionen können dann auch verschiedene Ressourcen und der Systemebenen zugeordnet werden. Die folgende Tabelle zeigt absteigend, also von L zu A, pro Ebene immer mehr Kontrolle (Top Down) und aufsteigend, also von A zu L, eine höhere Energiezufuhr (Bottom Up).

FunktionRessourceSystemebene
L atencyWerte, SymboleKultur
I ntegrationStatus, Rollen, NormenSozialsystem
G oal attainmentMotivation, Bedürfnisse, ZielePersönlichkeit
A daptionEnergieOrganismus
Vester, H.-G. (2009:191)

Auch wenn die heutige agile Bewegung sich auf das Agile Manifest aus dem Jahr 2001 bezieht, könnte man auf die Idee kommen, dass Elemente aus Parsons soziologischer Systemtheorie in den verschiedenen Ansätzen, Konzepten, Modellen, Methoden enthalten sind. Der Beitrag von Stefan Kühl Die überraschende Renaissance eines verstaubten soziologischen Konzeptes. Wie Praktiker das Wort „agil“ missverstehen weist allerdings genau auf das Gegenteil hin! Danke für den Hinweis bei Twitter an Hanky Tanky @eule_geheule vom 07.12.2020).

Kritische Anmerkungen zum Wertansatz von Kultur

In dem heutigen turbulenten Umfeld geht es oft um Orientierung. Dabei werden immer wieder die Begriffe “Kultur” und “Werte” verwendet. Bei Mauer, A. (2008): Richard Swedberg und die Wirtschaftssoziologie – Leidenschaft und Augenmaß. In: Swedberg, R. (2008): Grundlagen der Wirtschaftssoziologie. Herausgegeben und eingeleitet von Andrea Maurer, S. 9-28 finden sich dazudurchaus kritische Anmerkungen:

In Ann Swidlers Aufsatz Culture in Action (1986) sind die Eingangszeilen der Kritik am sogenannten „Werte-Paradigma“ gewidmet: Das herrschende Modell, das benutzt wird, um die Wirkungen von Kultur auf das Handeln zu verstehen, ist grundlegend irreführend. Es nimmt an, dass Kultur das Handeln formt, indem sie höchste Ziele oder Werte, an denen sich das Handeln ausrichtet, zur Verfügung stellt, was die Werte zum zentralen, kausalen Element von Kultur macht (…). Ein Jahrzehnt später unternahm Paul DiMaggio in einem bekannten Aufsatz eine ähnliche Attacke gegen den Wertansatz von Kultur. Übereinstimmend mit Swidler [argumentiert er] dahingehend, dass der Wertansatz Kultur als „einheitlich und kohärent über Gruppen und Situationen hinweg“ zeichnet, und stellt fest, dass die Sichtweise von Kultur als Werte, die anderen Aspekte von Glauben, Absicht und kollektivem Leben überdecken, [heute] ersetzt worden ist durch eine Kultur als regelähnlicher Struktur, die Ressourcen konstituiert, die strategisch genutzt werden können. Diese Änderung macht Kultur viel komplizierter. Wenn wir anerkennen, dass Kultur inkonsistent ist… wird es entscheidend, Einheiten für Kulturanalysen zu identifizieren und die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen diesen zu richten. In der Folge sind unsere Ergebnisse nicht länger Indikatoren einer latenten Variable (Kultur) (1997:265).

Diese Anmerkungen sollten bedacht werden, wenn es beispielsweise bei der Entwicklung zur Agilen Organisation um Kultur, Mindset, Werte und Prinzipen geht (Agiles Manifest). In dem von uns entwickelten Blended Learning Lehrgang Projektmanager/in Agil (IHK) gehen wir auch auf solche Themen ein. Informationen zum Lehrgang finden Sie auf unserer Lernplattform.

Wann sind mehr Informationen von Nachteil?

Je mehr umso besser ist nicht immer von Vorteil, obwohl das viele Menschen glauben. Berry Schwartz hat beispielsweise schon 2004 in seinem Buch The Paradox of Choice erwähnt, dass die Vielfalt eines Angebots Kunden überfordern können, sodass diese dann nicht kaufen (Blogbeitrag). Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Direktor des Harding-Zentrum für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, hat sich in einem Buch darüber so seine Gedanken gemacht.

Doch selbst wenn die Information kostenlos zur Verfügung steht, gibt es Situationen, in denen mehr Information von Nachteil sein kann. Mehr Gedächtnis ist nicht immer besser. Mehr Zeit ist nicht immer besser. Mehr Insiderwissen mag zwar dabei helfen, den Markt von gestern zu »erklären«, aber nicht, den Markt von morgen vorherzusagen. Weniger ist wahrhaft mehr unter den folgenden Bedingungen (Gigerenzer 2007:46-47):
• Nützliches Maß an Unwissenheit: Wie die Rekognitionsheuristik zeigt, kann das Bauchgefühl eine beträchtliche Menge an Wissen und Information übertreffen.
• Unbewusste motorische Fertigkeiten: Bauchgefühle erfahrener Experten beruhen auf unbewussten Fertigkeiten, deren Ausführung durch zu viel Nachdenken beeinträchtigt werden kann.
• Kognitive Einschränkungen: Unser Gehirn scheint über angeborene Mechanismen wie Vergessen und die Tendenz, klein anzufangen, zu verfügen, die uns vor der Gefahr schützen, zu viel Information zu verarbeiten. Ohne kognitive Einschränkungen würden wir uns weit weniger intelligent verhalten.
• Paradox der freien Wahl: Je mehr Optionen man hat, desto größer die Möglichkeit, dass es zu Konflikten kommt, und desto schwieriger, die Optionen zu vergleichen. Von einem bestimmten Punkt an schaden mehr Optionen, Produkte und Wahlmöglichkeiten dem Verkäufer wie dem Käufer.
• Vorzüge der Einfachheit: In einer ungewissen Welt können einfache Faustregeln komplexe Phänomene ebenso gut oder besser vorhersagen als komplexe Regeln.
• Informationskosten. Wie der Fall der Kinderärzte in der Universitätsklinik erkennen lässt, kann eine zu intensive Informationsbeschaffung einem Patienten schaden. Genauso kann zu viel Neugier das Vertrauen am Arbeitsplatz oder in Beziehungen zerstören.

Sollten also mehr Daten, mehr Informationen, mehr Wissen, mehr Können und mehr Kompetenzen unser Ziel sein? Wie Gigerenzer ausführt, sollte das bei bestimmten Bedingungen nicht der Fall sein, in anderen Settings allerdings sehr wohl. Dieses Sowohl-als-auch – dieses ambidextere – macht es Menschen und Organisationen nicht einfacher. Da wir uns immer mehr in vernetzte Systeme hineinbewegen, werden die von Gigerenzer genannten Bedingungen immer stärker zu beachten sein. Siehe dazu auch Die Messbarmachung der Intelligenz: Ein Phänomen der Industrialisierung?

Projektmanagement in verschiedenen Kulturen

In der Ausgabe 03/2020 der Zeitschrift ProjektmanagementAktuell geht es in der Titelstory um das Projektmanagement in verschiedenen Kulturen. In dem Beitrag Internationales Projektmanagement im chinesischen Kontext stellt Karl Waldkirch dar, wie schwierig eine Zusammenarbeit in Projekten mit chinesischen Partnern sein kann.

Neben dem unterschiedlichen Managementdenken und -verhalten ist es auch die konfuzianische Prägung der chinesischen Gesellschaft mit ihrem Wertekodex, die Projektarbeit zu einer Herausforderung machen. In dem genannten Artikel wird allerdings auch deutlich, wie die Zusammenarbeit zwischen westlichen und chinesischen Partnern in Projekten gestaltet werden sollte.

Dieses Beispiel zeigt, dass kulturelle Unterschiede zu Schwierigkeiten führen können. Darüber hinaus können solche Unterschiede auch zu neuen, hybriden Strukturen in der Projektarbeit weiterentwickelt werden, so dass ein neuer Wert in der Zusammenarbeit entsteht, der nicht so leicht kopierbar ist.

Zu beachten ist allerdings, dass Ländergrenzen nicht zwangsläufig auch Grenzen für Kulturen sind, die sich in den letzten tausenden von Jahren entwickelt haben. Kulturelle Zusammenhänge gibt es länderübergreifend, was die Anforderungen an die Projektarbeit nicht einfacher macht.

In den von uns entwickelten Blended Learning Lehrgängen Projektmanager/in (IHK) und Projektmanager/in agil (IHK) gehen wir auch auf kulturelle Unterschiede in der Projektarbeit ein. Informationen zu den Lehrgängen finden Sie auf unserer Lernplattform.

Ungewissheit, Uneindeutigkeit und Unsicherheit als Befund soziologischer Diagnosen?

Das heutige unternemerische Umfeld wird häufig mit dem Akronym VUCA beschrieben. Es wird argumentiert, dass dadurch ein anderes Problemlöseverhalten von Unternehmen erforderlich ist, das mit dem Begriff “Agil” vollumfänglich beschrieben zu sein scheint. Eine Agile Organisation, Agiles Personalwesen, ein Agiler Einkauf usw. werden propagiert. Die Begriffe Ungewissheit, Uneindeutigkeit und Unsicherheit sind allerdings Bestandteile einer Gesellschaftstheorie, die als Zweite Moderne bekannt geworden ist. Die darin enthaltene Theorie der reflexiven Modernisierung ist eher eine Gesellschaftstheorie.

“Moderne Zeiten sind unsichere Zeiten – so lautet der Befund soziologischer Gegenwartsdiagnosen. Die Theorie reflexiver Modernisierung hat diesen Befund weiter zugespitzt. Sie diagnostiziert, dass die Gesellschaft, in der wir leben – die Zweite Moderne – durch Ungewissheit, Uneindeutigkeit und Unsicherheit gekennzeichnet ist: Entscheidungen beruhen nicht mehr auf gesichertem Wissen, soziale Lagen lösen sich auf und vertraute Institutionen wie der Nationalstaat oder die Erwerbsarbeit verlieren ihre Konturen. Während Institutionen, Organisationen und Individuen mehr denn je dazu gezwungen sind, Entscheidungen zu treffen, wird dies gleichzeitig immer schwieriger, denn institutionalisierte Entscheidungskonventionen produzieren Nebenfolgen, die die Basisinstitutionen moderner Gesellschaften bedrohen” (Böhle/Weihrich (2009:9).

Die in den neuen Arbeitsformen (WoL, New Work, Agil …) enthaltenen Instrumente/Ansätze/Vorgehensmodelle sind also eingebettet in eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Das Mantra des Universellen solcher Ansätze kann durchaus auf ihre soziologischen Grundlagen zurückgeführt werden – doch wer will das schon?

Siehe dazu auch Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.