Wissensmanagement: Die Kontextbindung von Wissen

Brödner, P.; Helmstädter, E.; Widmaier, B. (Hrsg.) (1999): Wissensteilung – Zur Dynamik von Innovation und kollektivem Lernen (Zur Einführung). München und Mering

Wissen wird situativ konstruiert (Konstruktivismus). Das bedeutet, dass beispielsweise die selben Daten und Information im Einkauf (Kontext 1) und im Verkauf (Kontext (2) zu anderen Wissenskonstruktionen führen können. Die Abbildung illustriert diese und folgende Zusammenhänge.

Noch schwieriger ist es für Experten ihr Wissen (Expertise, Expertenwissen) preiszugeben (Kontext 1 – berufliche Domäne 1) , denn es handelt sich dabei hauptsächlich um implizites Wissen (1).

Dieses implizite Wissen (1) wird dann mit Hilfe von Theorien, Modellen und Begriffen de-kontextualisiert und über das dann explizierbare Wissen in einen anderen Kontext (2) übertragen. Dort wird das explizite Wissen re-kontextualisiert und über Aneignung, Internalisierung und Lernen zu einem impliziten Wissen (2) und zu Können (2).

Die Übergänge von impliziten Wissen zu expliziten Wissen – und umgekehrt – werden in dem bekannten SEKI-Modell von Nonaka/Takeuchi als eine Art Wissensspirale dargestellt. Dabei ist allerdings folgendes zu beachten: Schreyögg, G.; Geiger, D. (2003): Kann die Wissensspirale Grundlage des Wissensmanagements sein? Siehe dazu auch diesen Beitrag zum trägen Wissen.

Gibt es Wissensinhalt und Wissensqualität an sich?

Da Wissen konstruiert wird (Konstruktivismus) und situiert (an die jeweilige Situation gebunden) ist, muss die Antwort auf die oben gestellte Frage lauten: Nein, Wissensinhalt und Wissensqualität an sich gibt es nicht. Aus der bildungstheoretischen Perspektive formulieren es Dewe/Weber (2007:24) folgendermaßen: 

“Es lässt sich resümieren, dass in der bildungstheoretischen Diskussion um Wissen bisher nicht hinreichend zwischen der Frage nach Form, Inhalt und Qualität von Wissen und jener nach den jeweils spezifischen Kontextbedingungen der Anwendung des Wissens differenziert worden ist: Wissensinhalt und -qualität an sich gibt es nicht“.

Der Hinweis auf die jeweiligen Kontextbedingungen von Wissensinhalt und Wissensqualität lässt sich natürlich auch auf die unternehmerische Ebene übertragen.

Interessanter Vergleich der Entwicklungen von Atomtheorie und Lerntheorie

In dem Buch Baltes, B. (2001:42-43): Online Lernen findet man einen interessanten Vergleich der Entwicklungen von Atomtheorie und Lerntheorien: “Die Entwicklung der Lerntheorien scheint einem ähnlichen Muster wie die Erforschung der Materie zu folgen. Während des 18. Jahrhunderts begannen die Menschen Lernmodelle zu untersuchen und zu entwickeln. Die behavioristische Lerntheorie befasste sich mit der Beobachtung von Verhaltensmustern und ignorierte die Vorgänge, die sich im Inneren des Geistes abspielten. Der Behaviorismus ist also mit Daltons Atommodell zu vergleichen, demzufolge ein Atom lediglich ein Teilchen darstellt. Später erkannten die Forscher, dass im Inneren der Menschen bestimmte Vorgänge stattfinden, sogenannte kognitive Prozesse, die berücksichtigt werden müssen. Ebenso erkannten die Physiker, dass das Verhalten eines Atoms durch Prozesse verursacht wird, die im Inneren des Atoms ablaufen. Die Wissenschaftler mussten feststellen, dass weder das Atom noch der Lernprozess beständig sind. Könnte man nun also den konstruktivistischen Ansatz als Quantentheorie des Lernens bezeichnen? Die Quantentheorie baut auf die früheren Atomtheorien auf. Der Konstruktivismus baut auf der Theorie des Behaviorismus auf, da er gewissermaßen mehrer Sichtweisen akzeptiert und die Auffassung vertritt, das Lernen sei eine persönliche Deutung unserer Umgebung. Der Konstruktivismus basiert auch auf kognitivistischen Theorien, welche Lernen mit der Konstruktion von Systemen und der Verbindung mit früherem Wissen und Kenntnissen erläutern. Am stärksten unterscheiden sich diese Theorien in der Methode der Bewertung. Der Behaviorismus und der Kognitivismus bewerten das Erreichen bestimmter Ziele, der Konstruktivismus hingegen bedient sich einer subjektiveren Bewertung. Zum Schluss lässt sich folgendes feststellen: Bohrs Atommodell wird häufig in Schulen zur Einführung des Quantensystems (Protonen, Neutronen und Elektronen) eingesetzt. Im Bildungswesen greifen auch Vertreter des Konstruktivismus zur Vermittlung von Grundwissen und Grundkenntnissen gelegentlich auf den Behaviorismus zurück.”

Concept Maps: Wissens-Landkarten

concept-maps.jpgNowak und Gowin haben 1984 in ihrem Buch “Learning how to learn” erstmals die Technik des Concept Mapping beschrieben. Auf der Website IHMC Cmap Tools finden Sie viele (englischsprachige) Hinweise zu dem spannenden Thema. Probieren Sie es doch einfach einmal aus. Darüber hinaus finden Sie in dem Paper Tergan, Sigmar-Olaf (2005): Concept Maps & E-Learning ein entsprechendes Wissensmanagement-Szenario sowie Informationen zu einigen Tools. Aus Sicht des Konstruktivismus muss man allerdings kritisch hinterfragen, ob es sich bei den Tools wirklich um die Visualsierung von Wissen handelt, oder um die Visualisierung von Daten bzw. Informationen, die dann vom Lernenden zu Wissen “konstruiert” werden….

ConWeaver: Eine Lösung zur Wissensvernetzung?

conweaver.gifDie Ankündigung des Tools ConWeaver ist vielversprechend: “ConWeaver ist eine Lösung für die automatisierte Wissensvernetzung, semantische Integration und intelligente Suche in Portalen und Intranets.” Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin sehr für die Nutzung der neuen technologischen Möglichkeiten, möchte aber dennoch auf die Besonderheiten von Wissen eingehen. Schauen wir uns zunächst den ersten Teil des Satzes an, in dem von “automatisierter Wissensvernetzung” die Rede ist. Betrachtet man Wissen durch die Brille des Konstruktivismus´, so ist diese Aussage zu relativieren. Wenn Wissen situativ ist und in dem jeweiligen Kontext konstruiert wird, so leuchtet mir eine automatische Wissensvernetzung z. B. von impliziten Wissen mit Hilfe des Tools nicht ein. Weiterhin wird von einer “intelligenten Suche” gesprochen. Scheinbar ist heute alles intelligent: Software, Häuser, Autos, Straßenschilder usw. Intelligenz ist ein Konstrukt, das über 100 Jahre von dem IQ bestimmt war. In der Zwischenzeit gibt es Alternativen, die zwar auch heftig kritisiert werden, aber doch immer stärker auf dem Vormarsch sind (Siehe den Hinweis von Rauner 2004, der auf die Konvergenz der Kompetenz- und Intelligenzdebatte verweist). Von welcher Art “Intelligenz” wird hier in Verbindung mit dem Tool ConWeaver gesprochen? Ist es die künstliche Intelligenz (dann sollte man es auch so formulieren) oder meint man nur ein adaptives System? Und was ist mit den intelligenten Personen, die Wissen aus Daten und Informationen konstruieren, und es selbstorganisiert in Unternehmen (Domänen) so einsetzen, dass Probleme (Complex Problem Solving) des Kunden gelöst werden (Kompetenz: Selbstorganisationsdisposition)? Wie werden diese intelligenten Menschen von dem Tool unterstützt? Am Ende noch einmal der Hinweis: Ich bin für die Nutzung des Semantic Web, dennoch halte ich den Sprachgebrauch zur Zeit für etwas unglücklich.