Sollten wir die vielen Krisen nur aus den wirtschaftlichen, technischen, naturwissenschaftlichen Perspektiven betrachten?

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Aktuell hat man den Eindruck, es gibt nur noch Krisen. Die Energiekrise, die Flüchtlingskrise, die Bildungskrise, die wirtschaftliche Krise, politische Krisen etc. deuten im wahrsten Sinne des Wortes Krise auch auf einen Wendepunkt hin. Schwierig wird die Gemengelage dadurch, dass alle Krisen auch noch miteinander vernetzt sind, was die Komplexität erheblich erhöht.

“Eine wichtige Triebkraft für die Dynamik der oben genannten ineinander verwobenen Krisen ist die Abkopplung der naturwissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung von den weiter gefassten Fragen der menschlichen Werte, des guten Lebens und des Wohlergehens” (Gabriel et al (2022:12): Auf dem Weg zu einer Neuen Aufklärung – Ein Plädoyer für zukunftsorientierte Geisteswissenschaften. Dabei beziehen sich die Autoren auf Lima de Miranda and Snower (2020) sowie Gabriel (2020a)).

Die Autoren stellen somit die Frage, ob wir die Bewältigung der Krisen hauptsächlich naturwissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Perspektiven überlassen sollten.

Dabei schlagen sie berechtigt vor, stärker auch die geistes- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven zu beachten und mit einzubeziehen. In diesem Zusammenhang werden auch verschiedene Beispiele genannt. Herausheben möchte ich die allgegenwärtige Dominanz der Informations- und Kommunikationstechnologie, die uns eher treiben als nutzen. Die gesellschaftlichen Nebenfolgen dieser Entwicklungen werden oftmals zu wenig beachtet. Die Autoren schlagen daher in diesem Zusammenhang ein Recoupling vor: “{…] die Einbindung geistes- und sozialwissenschaftlicher Kompetenzen in den Diskurs zur digitalen Transformation, und zwar mit dem Ziel, zwischen erwünschten und unerwünschten Fällen der Automatisierung von Arbeit und der Ersetzung menschlicher Interaktionen und Praktiken durch digitale Systeme unterscheiden zu können” (ebd. S. 13).

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Wissenschaftler – wer braucht die denn?

Forschung

Wissenschaftler sind in der Bevölkerung oftmals wenig anerkannt und wertgeschätzt. Es gibt Ausnahmen, die es geschafft haben, durch gezieltes persönliches Marketing einen bestimmten Bekanntheitsgrad zu erreichen. Das wiederum ruft die Vertreter der universitären Forschung auf den Plan, die so ein Vorgehen nicht gut heißen.

Die universitäre Forschung verkennt allerdings manchmal, dass durch dieses Verhalten die Deutungshoheit von Fakten von anderen besetzt wird, die Menschen generell in ihrem Sinne beeinflussen wollen. Wenn Aussagen von Fußballspielern oder B-Promis zu komplexen wissenschaftlichen Themen mehr vertraut wird, als wissenschaftlichen Erkenntnissen, ist es nicht verwunderlich, wenn Verschwörungstheorien Hochkonjunktur haben. Diese persuasive Kommunikation sollte nicht einfach so hingenommen werden. Es ist daher erfreulich, dass die Glaubwürdigkeit der Forschung in Zeiten von Corona wohl etwas zugenommen hat:

Corona hat die Welt verändert. Die Erfahrung der Krise hat auch die öffentliche Meinung beeinflusst. Die Glaubwürdigkeit der Forschung hat nach einer im Juni veröffentlichten Repräsentativumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach deutlich zugenommen. 54 Prozent der Bevölkerung nehmen Naturwissenschaftler als wichtige Impulsgeber für die Zukunft wahr. Die Krise offenbart die Chancen. Freuen wir uns darauf, sie gemeinsam zu nutzen! (Fraunhofer Magazin 2/2020, S. 7).

Der angegebene Wert ist allerdings nicht besonders hoch, immerhin hat die Glaubwürdigkeit der Forschung bei 46 Prozent der Befragten nicht zugenommen… Dass die Fraunhofer Gesellschaft weiterhin nur die Naturwissenschaften hervorhebt, ist verständlich, immerhin hängen ja Fördergelder an dem ganzen Themenkomplex. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass auch auf die Rolle der Geisteswissenschaften oder Sozialwissenschaften gewürdigt wird. Immerhin ist es bemerkenswert, dass in verschiedenen Medien gerade Sozialwissenschaftler befragt werden, wenn es um komplexe Zusammenhänge geht – warum nur?