Individuell, für eine große Anzahl von Personen und kostengünstig weiterbilden? Wie soll das denn gehen?

In der aktuellen Diskussion zur beruflichen Bildung (Weiterbildung) geht es einerseits um die Möglichkeiten der Digitalisierung und andererseits auch um die Unterstützung individueller Lernprozesse im Sinne von Personalisierung. Dass es möglich ist, massenhaft, individuell und kostengünstig weiterzubilden, habe ich im Rahmen meines berufsbegleitenden Studiums zum Experten für neue Lerntechnologien (heute HFU Akademie, Wissenschaftliche Weiterbildung der Hochschule Furtwangen) schon in 2003 untersucht.

In meinem Paper Freund, R. (2003): Mass Customization and Personalization in der beruflichen Bildung (PDF) habe ich zunächst dargestellt, dass es möglich ist, die hybride Wettbewerbsstrategie Mass Customization auf den Bildungsbereich zu übertragen. Es ist möglich, massenhaft und dennoch individuell – zu vertretbaren Kosten – weiterzubilden.

Danach stellte sich gleich die Frage, wie das umgesetzt werden kann. Die klassische Antwort war: Mit Hilfe von Konfiguratoren und Learning Objects. Das ist zwar eine gute Idee, doch lernen nicht die Objekte, sondern die Menschen, eben Subjekte. Meine Überlegungen mündeten letztendlich in dem Vorschlag, die Multiple Intelligenzen Theorie von Howard Gardner zu nutzen.

An dieser Stelle möchte ich weiterhin erwähnen, dass ich diese Gedanken auch auf der Weltkonferenz zu Mass Customization and Personalization MCPC 2003 vorgestellt habe: Freund, R.; Piotrowski, M. (2003): Mass Customization and Personalization in Adult Education and Training. 2nd Worldcongress on Mass Customization and Personalization MCPC2003, Munich, Germany [Download].

Mass Customization? Was ist das denn?

Zunahme der Variantenvielfalt

Dem Trend zur Globalisierung und Individualisierung (Strukturwandel) begegnen die Unternehmen noch oft mit der Erhöhung der Vielfalt (Variantenproduktion), wodurch die Auswahlmöglichkeit für den Kunden zwar erweitert wird, der Kunde aber oftmals nicht das bekommt, was er haben möchte (The Paradox of Choice). Die Abbildung zeigt exemplarisch auf, wie sich der Trend zur Variantenproduktion in verschiedenen Branchen bemerkbar macht.

Die Zunahme der Variantenvielfalt führt die Unternehmen in eine Kompexitätsfalle, da nicht alle angebotenen Varianten verkauft werden können und nur noch wenige Produkte/Dienstleistungen wirtschaftlich sind. Die Automobilindustrie beispielsweise flüchtet um Kosten zu sparen in die sogenannte “Plattformstrategie” und bemerkt erst langsam, dass man dadurch an Markenimage verliert. Die Reaktionen der Unternehmen auf den Trend zur Individualisierung basieren sehr oft auf der generischen Wettbewerbsstrategie von Porter.

Diese Wettbewerbsstrategie schließt allerdings genau das aus, was Mass Customization ermöglicht: Die kundenindividuelle Massenproduktion als sogenannte hybride Wettbewerbsstrategie. Unternehmen und auch Kunden stehen Mass Customization manchmal abwehrend gegenüber. Der Satz: “Wenn Du etwas individuelles haben willst, dann musst Du dafür mehr bezahlen” wird von vielen Kunden immer noch als eine Art Gesetzmäßigkeit gesehen.

Mit B. Joseph Pine II und seinem Buch “Mass Customization – The Future in Business Competition” ist 1993 der Durchbruch gelungen. In Deutschland hat dann Frank Piller 1998 mit seiner Veröffentlichung “Kundenindividuelle Massenproduktion” dazu beigetragen, dass Mass Customization auch in Deutschland bekannt wurde. Die Entwicklung ist seither rasant (Auswahl):

1971: Toffler “Future Shock” > Aufzeigen der Möglichkeiten

1987: Davis “Future Perfect” > Begriff “Mass Customization”

1993: Pine “Mass Customization” > MIT-Studie

1998: Piller “Kundenindividuelle Massenproduktion”

Die verschiedenen Welt-Konferenzen seit 2001 in Hong Kong (MCPC 2001), an der ich teilgenommen habe, zeigen die rasante Entwicklung.

Siehe dazu auch Freund, R. (2009): Kundenindividuelle Massenproduktion (Mass Customization). RKW Kompetenzzentrum, Faktenblatt 5/2009.

Umfrage: Warum werden Produkte personalisiert?

…. dieser Frage wollen Wissenschaftler an der URJC in Madrid nachgehen und haben einen entsprechenden Fragebogen entwickelt:

Warum werden Produkte personalisiert?

Individualität ist vielen Menschen wichtig und die Personalisierung von Produkten ist ein Versuch diese zum Ausdruck zu bringen. Online-Produktkonfiguratoren ermöglichen es Produkte den eigenen Präferenzen anzupassen und einzigartige Produkte zu kreieren. An der Rey Juan Carlos Universität in Madrid untersuchen wir die Motive, die Personen dazu veranlassen Produkte selbst zu gestalten.

Häufig werden die bessere Übereinstimmung von Kundenpräferenzen und Produkteigenschaften, die Einzigartigkeit eines Produktes, das Gefühl von Stolz etwas geschaffen zu haben oder die Freude an der kreativen Produktgestaltung als Gründe genannt. Das Ziel unserer Untersuchung ist die Relevanz dieser Faktoren in Abhängigkeit von Produkt- und Prozesseigenschaften zu bestimmen. So nehmen wir an, dass beispielsweise die Häufigkeit mit der ein Produkt gekauft wird, der Wert eines Produktes oder die Bereitstellung von Feedback während des Personalisierungsprozesses die Bedeutung der ‘Key Value Driver’ beeinflussen.

Für unsere Studie haben wir einen kurzen Fragebogen (ca. 10 min.) entwickelt, der unter http://www.soscisurvey.de/URJC/ zu erreichen ist. Damit die Studie qualitativ hochwertige Ergebnisse erzielt, benötigen wir noch Personen, die bereits Erfahrung mit der Online-Produktpersonalisierung gemacht haben. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie an unserer Umfrage teilnehmen. Sollten Sie Interesse an den Ergebnissen der Umfrage habe, so können Sie auf der letzten Fragebogenseite Ihre Kontaktdaten eintragen.

Siehe dazu auch Mass Customization und Personalization, bzw. MCP-CE 2012.

Warum weist man nicht auf Mass Customization and Personalization bzw. Open Innovation hin?

Entspannen2002.jpgUnter der Überschrift Hardware-Hersteller entdecken Web 2.0 schreibt Dirk Nolde heute in DIE WELT über “Wii” und “Mii”. Dabei analysiert der Autor die Erfolgsformel von Nintendo: “Personalisierung plus Gemeinschaft”. Dieser Ansatz der Personalisierung (Personalization, Mass Customization) bei gleichzeitiger gemeinschaftlicher Entwicklung (Open Innovation) deutet auf hybride Wettbewerbsstrategien hin. Ich frage mich bei solchen Kommentaren immer, warum die Autoren nicht deutlich machen, dass es sich um neue Wettbewerbsstrategien handelt, die schon in vielen Branchen erfolgreich eingesetzt werden (Beispiele zu Mass Customization). Die Redakteure scheinen über die reine Beschreibung von Phänomenen nicht mehr hinauszukommen. Recherchearbeit sollte allerdings weiter gehen.