Welche Wissenschaften können Soziale Komplexität besonders gut beschreiben?

Der Begriff “Komplexität” wird überall thematisiert, wenn es um die Beschreibung des veränderten Umfelds (VUCA), um die Unterscheidung zu “Kompliziert”, usw. geht. Doch wenn man sich genauer damit beschäftigt, geht es hauptsächlich um die Bewältigung von Komplexität in sozialen Systemen – wie z.B. Organisationen / Unternehmen. Siehe dazu auch Unternehmen als sozialer Organismus – Unsinn, oder? oder Was macht eine menschlich-soziale Selbstorganisation aus? Diese Hinweise deuten schon an, dass es durchaus Sinn machen kann, u.a. bei den Sozialwissenschaften nach Bewältigungsstrategien für die Soziale Komplexität zu suchen.

“Soziale Komplexität schließt die Perspektive der ersten Person ein. Subjektive Erfahrung ist eine unverzichtbare Dimension sozialer Formationen. Systemisches Denken setzt die Berücksichtigung der sozioökonomischen, historischen Situiertheit des menschlichen Handelns im jeweiligen Kontext voraus. Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind daher besonders gut geeignet, (1) die Entwicklung sozialer Komplexität zu beschreiben und (2) das gesellschaftliche Schema, innerhalb dessen die Sinngebung erfolgt, neu zu gestalten. Dadurch steuern sie normative Leitlinien für wünschenswerte Veränderungen bei, indem sie die komplexe Verflechtung verschiedener normativer Sphären (von der individuellen zur kollektiven Ebene und umgekehrt) untersuchen. Soziale Komplexität hat eine zirkuläre Struktur, die einer Rückkopplungsschleife. Im Zentrum dieser Struktur steht das menschliche Werden, das in natürliche und soziale Gegebenheiten eingebunden ist, auf die es einerseits Einfluss nimmt und von denen es andererseits beeinflusst wird. Die Geistes- und Sozialwissenschaften können Instrumente zur Bewältigung von Komplexität entwickeln. Sie können zukunftsorientiert sein, indem sie realistische Utopien und Modelle für einen sozialen Wandel zum Positiven hin entwerfen, die die nichtreduzierbare Komplexität und Kontingenz unserer individuellen und kollektiven Wertorientierung respektieren” (Gabriel et al (2022:66): Auf dem Weg zu einer Neuen Aufklärung – Ein Plädoyer für zukunftsorientierte Geisteswissenschaften.

Betrachten wir das Vorgehen im Umgang mit Sozialer Komplexität in Gesellschaft und Organisationen, so wird deutlich, dass der Fokus oft auf der Technologie liegt > Technologie first. Dann kommt die Organisation und irgendwann der Mensch. Gut, diese einfache Wirkungskette wird der komplexen Situation nicht gerecht. Dennoch ist etwas an diesem Bild irritierend: Es ist ein Mindset (oder besser: ein Mantra), das durchaus in den Unternehmen anzutreffen ist. Es wird auch hier deutlich, dass wir die Deutung und Bewältigung der aktuellen Krisen nicht nur der Technik, den Naturwissenschaften oder der Wirtschaft überlassen sollten.

Informationen zu den von uns entwickelten Blended Learning Lehrgängen, und zu weiteren Terminen und Standorten, finden Sie auf unserer Lernplattform.

Wittke, V.; Hanekop, H. (Eds.) (2011): New Forms of Collaborative Innovation and Production on the Internet

Das Buch Wittke, V.; Hanekop, H. (Eds.) (2011): New Forms of Collaborative Innovation and Production on the Internet hat mehrere Besonderheiten. Zunächst ist es die interdisziplinäre Perspektive auf die neuen Formen der Zusammenarbeit im Internet. Es freut mich sehr, dass sich gerade auch die Sozialwissenschaften mit dem Themenspektrum befassen und den BWLer/VWLer usw. nicht die Deutungshoheit überlassen. Darüber hinaus ist es toll, dass dieses umfangreiche Werk auch kostenlos als PDF-Datei zur Verfügung steht – Danke. Siehe dazu auch MCPC 2011: Der Flyer zur Weltkonferenz in San Francisco. Hier noch der Verlagstext:

The Internet has enabled new forms of large-scale collaboration. Voluntary contributions by large numbers of users and co-producers lead to new forms of production and innovation, as seen in Wikipedia, open source software development, in social networks or on user-generated content platforms as well as in many firm-driven Web 2.0 services. Large-scale collaboration on the Internet is an intriguing phenomenon for scholarly debate because it challenges well established insights into the governance of economic action, the sources of innovation, the possibilities of collective action and the social, legal and technical preconditions for successful collaboration. Although contributions to the debate from various disciplines and fine-grained empirical studies already exist, there still is a lack of an interdisciplinary approach.