Die Messbarmachung der Intelligenz: Ein Phänomen der Industrialisierung?

Der Intelligenz-Begriff wird in der Kommunikation von Unternehmen mit allen möglichen und unmöglichen Dingen in Bezug gebracht: Intelligente Häuser, intelligente Autos, intelligente XY, bis hin zu einer Künstlichen Intelligenz. Andererseits gibt es bei der eher menschlichen Intelligenz Differenzierungen wie Emotionale Intelligenz, Soziale Intelligenz usw. Es scheint, als ob der Intelligenz-Begriff einer gewissen Beliebigkeit unterworfen wird. Die Geschichte zeigt, dass es ursprünglich um die Messbarkeit von Intelligenz im Rahmen eines Intelligenz-Quotienten ging. Es war Anfang des 20. Jahrhunderts nicht unüblich im Rahmen der Industrialisierung alles messbar zu machen.

Durch Berechnungsverfahren, die von dem deutschen Psychologen William Stern bereits 1911 in den Grundzügen entwickelt und von den in den USA tätigen Psychologen David Wechsler vervollständigt wurden, erfolgte dann eine weitgehende Entkopplung von der sozialen Vergleichsgruppe. Spätestens mit den Arbeiten von Wechsler erhielt der IQ den universellen Anspruch, die Intelligenz eines Menschen umfassend zu beschreiben. Menschen unterschiedlichster Herkunft, verschiedenen Alters sowie unterschiedlichster sozialer Erfahrungen und Qualifikation werden damit vergleichbar. Dieser Anschein von Präzision und Allgemeingültigkeit trägt nach Auffassung von Robert J. Sternberg unter anderem dazu bei, den Stellenwert der Tests immer wieder zu bestätigen. Auch rein ökonomische Argumente spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Schließlich sollen sich die Intelligenztests speziell bei der Personalauswahl so gut wie kein anderes Auswahlinstrument dafür eignen, erfolgsversprechende von weniger erfolgsversprechenden Bewerbern zu trennen (Abicht 2010:145).

Die Entgrenzung des Intelligenz-Konstrukts führt seit einigen Jahrzehnten zu vielfältigen Diskussionen im wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und privaten Umfeld. Denn: Wer möchte schon als nicht-intelligent, oder gar dumm erscheinen?

Abicht, L. (2010): Offene Zukunft: Menschliche Potenziale für eine neue Welt

Das Buch Abicht, L. (2010): Offene Zukunft: Menschliche Potenziale für eine neue Welt (Leseprobe) befasst sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen und der Notwendigkeit, alle menschlichen Potenziale zu erschließen. Dabei leitet der Autor hin zu einer nicht mehr rational zu bestimmenden Zukunft, die er als offene Zukunft bezeichnet. Daraus ergeben sich vielfältige Konsequenzen, die beschrieben werden: Dynamische Systeme, Komplexität, Rückkopplungen, divergentes Denken usw. Interessant ist, dass Abicht auf Seite 147 auf die Multiple Intelligenzen Theorie eingeht und formuliert: “Der umfassende Charakter dieser Intelligenzenart (oder sollte man sie doch besser als Fähigkeiten bezeichnen?) könnte zu einer weitreichenden Schlussfolgerung führen: Die Intelligenzen umfassen alle Arten menschlicher Geistestätigkeit vom rationalen Denken über die emotionalen Prozesse bis hin zu den intuitiven Vorgängen. Und damit ist Intelligenz weitaus mehr als rationales Denken”. Es freut mich, dass hier die großen Veränderungen unserer Zeit mit der Erweiterung des Intelligenzkonstrukts verknüpft werden. Es scheint, dass die Multiple Intelligenzen Theorie eine bessere Passung zur Realität aufweist.