Jeder Mensch ist ein Unikat: Über die Gefahr von Typologien und die Irrelevanz des Durchschnitts

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In der Industriegesellschaft wurde/wird versucht, alles zu messen, und falls das nicht immer funktioniert hat, wurde es eben messbar gemacht. Bei diesen Zahlenspielen kamen dann auch immer wieder mathematische Berechnungen bei Menschen oder sozialen Systemen zum Einsatz. Ein wichtiger Wert war dabei oft der Durchschnitt, der dann auch noch oft zu verschiedenen Typologien herangezogen wurde. Am Beispiel des “Intelligenzquotienten” ist das gut zu sehen, denn es ergeben sich die Typen “Dumm”, Normal” und “Intelligent” aufgrund von Ähnlichkeiten in Merkmalsausprägungen. Dazu ist folgendes anzumerken:

“Die große Gefahr von Typologien liegt darin, dass sie dazu neigen, das Singuläre im Durchschnittlichen aufzulösen. (..) Christoph Kucklick kritisiert in seinem bekannten Buch „Die granulare Gesellschaft“ deshalb den Durchschnitt, den er als „Maßeinheit der Moderne“ (Kucklick 2015, S. 9) bezeichnet und schreibt: Jeder Mensch ist ein Unikat, ein Singularium […]. Wenn man die Einzelheiten hinreichend gut kennt, dann ist der Gruppendurchschnitt irrelevant“ (ebd. S. 38ff, zitiert in Arnold 2017).

Ergänzen möchte ich noch, dass der Begriff der Moderne hier etwas genauer erläutert werden sollte, denn der Durchschnitt ist eher die Maßeinheit der einfachen Modernisierung und weniger der Reflexiven Modernisierung. Siehe dazu auch

Die Messbarmachung der Intelligenz: Ein Phänomen der Industrialisierung?
Reduktionismus: Die Vereinfachung komplexer Sachverhalte ist unangemessen
Wirtschaftspsychologie und Wirtschaftssoziologie sind vielen Führungskräften wenig bekannt

Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk

Die Messbarmachung der Intelligenz: Ein Phänomen der Industrialisierung?

Der Intelligenz-Begriff wird in der Kommunikation von Unternehmen mit allen möglichen und unmöglichen Dingen in Bezug gebracht: Intelligente Häuser, intelligente Autos, intelligente XY, bis hin zu einer Künstlichen Intelligenz. Andererseits gibt es bei der eher menschlichen Intelligenz Differenzierungen wie Emotionale Intelligenz, Soziale Intelligenz usw. Es scheint, als ob der Intelligenz-Begriff einer gewissen Beliebigkeit unterworfen wird. Die Geschichte zeigt, dass es ursprünglich um die Messbarkeit von Intelligenz im Rahmen eines Intelligenz-Quotienten ging. Es war Anfang des 20. Jahrhunderts nicht unüblich im Rahmen der Industrialisierung alles messbar zu machen.

Durch Berechnungsverfahren, die von dem deutschen Psychologen William Stern bereits 1911 in den Grundzügen entwickelt und von den in den USA tätigen Psychologen David Wechsler vervollständigt wurden, erfolgte dann eine weitgehende Entkopplung von der sozialen Vergleichsgruppe. Spätestens mit den Arbeiten von Wechsler erhielt der IQ den universellen Anspruch, die Intelligenz eines Menschen umfassend zu beschreiben. Menschen unterschiedlichster Herkunft, verschiedenen Alters sowie unterschiedlichster sozialer Erfahrungen und Qualifikation werden damit vergleichbar. Dieser Anschein von Präzision und Allgemeingültigkeit trägt nach Auffassung von Robert J. Sternberg unter anderem dazu bei, den Stellenwert der Tests immer wieder zu bestätigen. Auch rein ökonomische Argumente spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Schließlich sollen sich die Intelligenztests speziell bei der Personalauswahl so gut wie kein anderes Auswahlinstrument dafür eignen, erfolgsversprechende von weniger erfolgsversprechenden Bewerbern zu trennen (Abicht 2010:145).

Die Entgrenzung des Intelligenz-Konstrukts führt seit einigen Jahrzehnten zu vielfältigen Diskussionen im wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und privaten Umfeld. Denn: Wer möchte schon als nicht-intelligent, oder gar dumm erscheinen?

Immer mehr Personen sammeln ihre eigenen Gesundheitsdaten

quantify-selfDer Beitrag When Wearable Health Trackers Meet Your Doctor (Techcrunch vom 06.08.2014) weist auf einen interessanten Trend hin: Immer mehr Leute tragen Geräte, mit denen Gesundheitsdaten erfasst werden können. Die Sportler machen das schon recht exzessiv (fitness bands), aber auch Uhren – und andere Geräte – werden immer mehr dafür genutzt. In den USA soll der aktuelle Anteil der Personen, die solches Equipement verwenden, heute bei 15% der Bevölkerung der USA – also bei ca. 45 Millionen – liegen. In 2018 sollen es schon mehr als 100 Millionen Menschen sein. Diese Entwicklung von unten (User Innovation?) wirft vielfältige Fragen auf: Was passiert mit den Daten? Wie ist es möglich, diese Daten mit denen der klassischen Medizin zu verknüpfen (Gesundheitskarte)? Wie kann mein Hausarzt diese Daten nutzen? Die Quantified-Self-Bewegung listet aktuell 505 Tools auf die zeigen, wie vielfältig die Möglichkeiten sind, eigene Daten zu erfassen. Die Basis ist also längst gelegt, was bleibt ist, aus den Daten Informationen und Wissen zum Wohle eines jeden Einzelnen zu generieren. Eine interessante Aufgabe, Innovationen zu entwickeln.

Kann die Performance von Open Innovation bestimmt werden?

measuring-open-innovationOpen Innovation ist in aller Munde, doch stellt sich dabei auch die Frage, was Open Innovation der Organisation “bringt”, denn Manager wollen alles Messen können, bzw. alles meßbar machen. Der Artikel Erkens/Wosch/Piller/Lüttgens (2014): Measuring Open Innovation (Performance, Volume 6, Issue 2, May 2014) stellt einen entsprechenden Rahmen vor:

Even experienced managers still go blank when asked how to assess, control and measure the performance of open innovation (OI) activities. To address this, we will discuss a general framework for an OI performance measurement system and present a metrics-based management toolkit that provides a suite of KPIs for a specific set of OI methods.

Ich frage mich hier, warum der Begriff Intellectual Capital nicht vorkommt… Siehe dazu auch Controlling für Open Innovation, If you cannot measure it, you can not manage it.

Zahlengläubigkeit, Vertrauen und Erfolg

Business HandshakeIn dem Artikel ADAC gesteht jahrelange Manipulationen (SZ vom 20.01.2014) geht es vordergründig um “geschönte” Zahlen. Etwas tiefergehend, geht es um den Zusammenhang von Zahlengläubigkeit, Vertrauen und Erfolg in unserem Geschäftsleben. Ich möchte zunächst auf die “Zahlengläubigkeit” eingehen. Zahlen können auch als die Reduzierung der Komplexität auf eine Ziffer verstanden werden. Jeder kann z.B. recherchieren, wieviele Kilomenter die Küstenlänge von Deutschland umfasst. Doch ist diese Ziffer nur eine Näherung, da sich die Küsrenlänge gar nicht exakt bestimmen lässt, weil sich alles in jeder Sekunde ändert. Das Leitbild der Industriegesellschaft (einer in diesem Sinne modernen Gesellschaft) orientiert sich daran, „dass man [vielmehr] alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnung beherrschen könne“ (Weber 1919:316) (Siehe diesen Blogbeitrag). Kommt noch Intransparenz dazu, können Menschen sehr leicht durch manipulierte Zahlen gesteuert werden. Das Beispiel ADAC zeigt, wohin das führen kann (Siehe dazu auch Der schwarze Schwan). Der nächste Begriff ist “Vertrauen”. Dazu findet man in dem oben genannten SZ-Artikel folgenden Satz von Herrn Obermair, dem ADAC-Chef: “Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind unser höchstes Gut, umso mehr treffen uns diese ganzen Vorgänge”. Das ist erstaunlich, denn in den Geschäftsberichten der Organisationen und der Unternehmen findet man kaum mal einen Satz dazu. Darin geht es doch immer nur um Zahlen, Zuwachsraten, Renditen, Return on Investment, Shareholder Value usw. In einer eher vernetzten Welt gibt es allerdings neben den bekannten Währungen eine neue – und ich meine hier nicht Bitcoin. Es ist “Vertrauen”, als “neue Währung” der neuen Wirtschaft in vernetzten Systemen. Es geht um Vertrauen nach Außen, aber auch um Vertrauen nach Innen (Siehe dazu Verred). Etwas weniger Zahlengläubigkeit und etwas mehr “Schaffung von Vertrauen” durch das Management von Organisationen führt zum Erfolg. Doch sind die Manager der Industriegesellschaft für solche Aufgaben überhaupt qualifiziert – oder besser kompetent? Geht das Management nicht eher von folgender Prämisse aus:  If you cannot measure it, you can not manage it?  Der erste Schritt Vertrauen aufzubauen ist, Transparenz zu schaffen. Ich bin sehr gespannt, ob diese über jahrzehnte gewachsene Organisation (ADAC) schnell lernt, oder ob der “gelbe Engel” abstürzt.