Betrachtet man sich den Schilderwald in Deutschland einmal genauer, so fällt auf, dass dieser in den letzten Jahrzehnten immer größer geworden ist. Immerhin haben wir 20.000.000 Schilder in Deutschland – bezogen auf das Streckennetz bedeutet das statistisch alle 28m ein Schild. Beeindruckend. Findige Bürokraten versuchen mit immer mehr Regeln und entsprechenden Schildern, den Straßenverkehr “in den Griff” zu bekommen. Diese Vorgehensweise entspricht den Denk- und Handlungsmustern der einfachen Moderne (Reduktionismus). Dabei unterstellt man eine gewisse Rationalität, mit der man Komplexität einfach reduziert und regelt. Dass das in einer immer stärker vernetzten und globalisierten Welt keine angemessene Vorgensweise ist, hat schon die Krise in der Finanzwelt gezeigt. Wenn man nun laaaaaaangsam anfägt, Schilder abzumontieren und immer mehr Kreisverkehr-Lösungen umsetzt, so zeigt das grundsätzlich in die richtige Richtung: Selbstorganisation. Selbstorganisation ist Grundelement im Umgang mit Komplexität in der reflexiven Moderne. Der Übergang zur Selbstorganisationsdisposition (Kompetenz nach Erpenbeck/Heyse) ist dann nicht mehr weit. Aber wer will das schon?
Was ist das kritische Erfolgpotenzial in Organisationen?
“Das kritische Erfolgspotenzial in Organisationen stellt heute nicht mehr die Technik, sondern der Mensch dar. Somit muss die ökonomisch-technische Rationalität von einer ökonomisch-sozialhumanen abgelöst werden. Die Einsicht, dass das Ökonomische vom Sozialen getragen und bewegt wird, muss realisiert werden“ (Bleicher 1992:31). Ja sollen wir denn alle Sozialarbeiter werden? Nein, das ist nicht gemeint – ist ja auch schwer möglich. Doch: Viele sehr rational denkende Manager könnten von Sozialarbeitern durchaus einiges lernen…-doch wer will das schon? Was Bleicher meint ist, dass der Mensch in komplexen sozialen Systemen im Gegensatz zu technischen Systemen gut zurecht kommt. Unternehmen sehen allerdings Mitarbeiter immer noch als lästigen Kostenfaktor und weniger als Erfolgspotenzial. Mal sehen, ob sich das in Zukunft ein wenig ändern wird…
Der Strukturbruch zwischen einfacher und reflexiver Modernisierung

Wenn von Modernisierung gesprochen wird, handelt es sich häufig um die einfache Modernisierung, die sich seit dem 18. Jh. abzeichnet. Diese einfache Modernisierung geht von stetigem Fortschritt, Beherrschbarkeit der Natur usw. aus. Diese “Basisselbstverständlichkeiten” werden allerdings in letzter Zeit immer häufiger infrage gestellt. Viele Beobachter der Entwicklung sehen sogar einen Strukturbruch im Übergang zu einer etwas anderen Modernen – der reflexiven Modernisierung. Seit 1999 gibt es das Sonderforschungsprogramm SFB 536, das sich genau mit dieser Thematik befasst. Hier einige Kernpunkte:
- Zum einen ist in die Entwicklungsdynamik der Moderne ein nachhaltiger Kontingenzzuwachs eingebaut, der sich unter den Bedingungen der reflexiven Moderne in einer folgenreichen Vervielfältigung von Optionen niederschlägt. Soziale Strukturierungen vom individuellen Beziehungsnetz bis hin zum Nationalstaat erscheinen nicht mehr als fest und selbstverständlich, sondern werden auch als anders möglich, veränderbar und begründungspflichtig erfahren.
- Zum anderen macht sich das Problem der Nebenfolgen sozialen Handelns verstärkt bemerkbar. Dass die Verfolgung jedes intendierten Ziels nicht intendierte Nebenfolgen nach sich zieht, ist keineswegs neu. Aber unter den Bedingungen der reflexiven Moderne verschiebt sich das Verhältnis zwischen intendierten Handlungen/Zielen und nicht intendierten Nebenfolgen in teilweise dramatischer Form. Denn die nicht intendierten Nebenfolgen konterkarieren die intendierten Absichten nicht selten in einer Weise, dass die Bearbeitung der Nebenfolgen mehr Aufmerksamkeit und Aufwand erfordert als das ursprüngliche Handlungsprogramm.
- Vor diesem Hintergrund ist zugleich eine Krise der Rationalitätsunterstellungen und Rationalisierbarkeitserwartungen der einfachen Moderne zu beobachten. So kann offensichtlich nicht mehr davon ausgegangen werden, dass durch mehr Wachstum, Wissen und soziale Differenzierung die gesellschaftliche Strukturierung immer eindeutiger und sicherer wird. Statt dessen wird deutlich, dass die Moderne angesichts der Erfahrungen von Kontingenz und Nebenfolgen eher uneindeutiger und unsicherer wird, und es ist genau dieser Prozess, der trotz oder gerade wegen eines unabweisbaren Zuwachses an Steuerungswissen die bisherigen “linearen” Rationalisierungs- und Ausdifferenzierungsvorstellungen in Frage stellt.
Die meisten Individuen, aber auch Organisationen, gehen immer noch von einer einfachen Modernisierung aus, und wundern sich, dass ihr Antwortverhalten nicht mehr zur der Realität passt. Machen Sie sich also diesen Strukturbruch klar, um für sich angemessene Handlungsweisen abzuleiten.

Kritik am Wertansatz der Kultur: Die Beziehung von Werten und Normen
Vor der Bundestagswahl, aber auch vor anderen Wahlen, kommen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Ecken Standpunkte zur Rolle der Kultur – manche sprechen sogar von einer Art “Leitkultur”. Dieser Ansatz unterstellt, dass Kultur handlungsleitend sein kann. Das klingt auch zunächst logisch und schlüssig… doch es gibt dagegen auch erhebliche Bedenken. Swidler (1986) führt dazu aus: “Das herrschende Modell, das benutzt wird, um die Wirkungen von Kultur auf das Handeln zu verstehen, ist grundlegend irreführend. Es nimmt an, daß Kultur das Handeln formt, indem sie höchste Ziele oder Werte, an denen sich das Handeln ausrichtet, zur Verfügung stellt, was die Werte zum zentralen, kausalen Element von Kultur macht”. In die gleiche Richtung argumentiert DiMaggio (1997) und ergänzt: “Wenn wir anerkennen, dass Kultur inkonsistent ist… wird es entscheidend, Einheiten für Kulturanalysen zu identifizieren und die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen diesen zu richten. In der Folge sind unsere Ergebnisse nicht länger Indikatoren einer latenten Variable (Kultur)”. Beide Quellen argumentieren gegen eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Kultur und einem Handeln, das auf Kultur zurückzuführen ist. Kultur ist wie so viele andere Begriffe auch ein Konstrukt, das gerne auf eine vereinfachende Formel gebracht wird, um Stammtische vor Wahlen zu bedienen. Dieser Reduktionismus der komplexen Zusammenhänge ist nicht förderlich, und sollte unterlassen werden (Komplexität) Genau so wie es unsinnig ist, Unternehmen auf eine Zahl zu reduzieren (Shareholder-Value) oder Intelligenz in einer Zahl zu beschreiben (Intelligenz-Quotient:IQ) ist es auch nicht mehr zeitgemäß Kultur auf eine handlungsleitende Dimension zu reduzieren. Konzentrieren wir uns in der Debatte um den Begriff Kultur darauf anzuerkennen (wie DiMaggio es nennt), “dass Kultur inkonsistent ist”. Daraus ergeben sich natürlich viele neue Perspektiven, die manchen Politikern nicht gefallen werden, allerdings der komplexen Wirklichkeit eher entsprechen, als dumpfe Stammtischparolen…
Gedanken zum Problemlösen
Probleme lösen zu können ist für uns persönlich, aber auch für Unternehmen wichtig. In letzter Zeit fällt allerdings auf, dass der Begriff “Problemlösen” unterschiedlich verwendet wird. Funke unterscheidet dazu das einfache Problemlösen (Simple Problem Solving) und das komplexe Problemlösen (complex problem solving). Beim einfachen Problemlösen sind Ist- und Soll-Zustand gut beschreibbar. Durch planbares Vorgehen ist der Soll-Zustand dann mehr oder weniger gut erreichbar. Komplexes Problemlösen ist anders, denn die Ausgangszustände sind nicht so eindeutig beschreibbar und auch der Weg zum Ziel ist vielfältig und schwierig. Bamberger/Wrona (2000:6) formulieren das so: “Sie stellen Entscheidungen unter Unsicherheit dar und werden auch als sog. Multi-Kontext-Probleme derart bezeichnet, dass sie in unterschiedlichen, jeweils aktorspezifischen Kontexten definiert bzw. expliziert werden“. Die Gesamtsituation kann man als komplex bezeichnen. Komplexität begegnet man mit Selsbtorganisation – die Fähigkeit zur Selbstorganisation ist somit ein Kernelement komplexen Problemlösens. Damit sind wir allerdings auch schon beim Begriff “Kompetenz”, den Erpenbeck als Selbstorganisationsdisposition beschreibt. Berücksichtigt man weiterhin, dass Problemlösen auch mit Intelligenz in Verbindung gebracht wird, so stellt sich die Frage, wie Intelligenz mit Problemlösen zusammenhängt. Ceci und Kollegen haben herausgefunden, dass es keine Korrelation zwischen dem komplexen Probelemlösen und dem IQ gibt (vgl. dazu auch Funke). Was es allerdings gibt, ist eine Verbindung zwischen Multiplen Intelligenzen und dem komplexen Problemlösen (Ceci, Funke). Es scheint so zu sein, dass die Multiple Intelligenzen Theorie eher in der Lage ist, komplexes Problemlösen zu ermöglichen und zu unterstützen. Diesen Gedanken greife ich in meiner Dissertation (Promotionsvorhaben) auf. Siehe dazu auch Intelligenz-Quotient (IQ) aus Sicht der Komplexitätsforschung oder Psychologie der Kreativität oder Alfred Binet – oder der erste Intelligenztest der Welt
Der Mensch als Humakapital – nur ein Index?
Der Artikel Kein Mensch, nur Humankapital von Dagmar Deckstein (Süddeutsche Zeitung vom 25.06.2009) hat mir doch zu denken gegeben. Die gut gewählte Überschrift des Beitrags regt an darüber nachzudenken, wie der Mensch in Organisationen heute gesehen wird. Es wird in dem Artikel zunächst auf den DGB-Index “Gute Arbeit”, und anschließend auf den Human-Potential-Index (HPI) (3.6MB, pdf) der Beraterfirma Psychonomics verwiesen. Dabei ist es gut, dass sich am Ende herauskristallisiert, dass ein hoher Aufwand im Personalwesen nicht zwangsläufig auch zu guten Ergebnissen im Unternehmen führt. Im Unternehmen sind die verschiedenen Einflussfaktoren der Menschen, der Struktur und der Beziehungen in einem Gesamtzusammenhang (Wirkungsnetz) darzustellen. Dieses Vermögen (Potentiale) kann so erschlossen werden, dass die Ergebnisse positiv/negativ beeinflusst werden. Aus der Wissensperspektive sind somit die verschiedenen Generatoren entscheidend. Diese Vorgehensweise wird in der Wissensbilanz – Made in Germany gewählt. Dabei bedeutet nicht (wie in der klassischen Industrie-Ökonomie), dass z.B. viel Aufwand im Personalwesen auch zwangsläufig zu verbesserten Ergebnissen führt. Diese komplexen Zusammenhänge können nicht auf einen wie auch immer gearteten Index zusammengefasst werden. Dieser zwanghafte Trend (Shareholdervalue, Intelligenz-Quotient usw.) ist der Komplexität des Systems nicht angemessen und führt in die Irre. Siehe dazu auch
Die ausschließliche Orientierung an Finanzgrößen ist übersimplifizierend und somit untauglich
Dazu habe ich bei Malik (2004:186) etwas gefunden: “Wenn das Umfeld komplex ist, wenn Kunden immer anspruchsvoller und Konkurrenten immer besser werden, dann muß auch das Unternehmen in der Lage sein, ausreichende Komplexität zu entwickeln, um richtig reagieren zu können. Es war daher, um ein Beispiel zu geben, aus kybernetischer Sicht klar, daß die in der Wirtschaft in den letzten Jahren zu beobachtende Ausrichtung an nur gerade einer Kenngröße, dem Shareholder Value, eine risikoreiche Einschränkung von Varietät bedeutet, so wie überhaupt die Orientierung ausschließlich an den Finanzgrößen übersimplifizierend und reduktionistisch ist. Das sind, wie nun deutlich zu sehen ist, untaugliche Mittel, um komplexe Systeme unter Kontrolle zu halten. Sie schädigen Prosperität und Lebensfähigkeit von Unternehmen und führen zu wachsender Instabilität. In Wahrheit werden damit nicht Wohlstand und Werte geschaffen, sondern es entstehen die Voraussetzungen für Krise und Kollaps.” Heute, 5 Jahre nach der Veröffentlichung des Textes, wissen wir, was gemeint ist. In der Wissensbilanz – Made in Germany stehen eher die Beziehungen der immateriellen Einflussfaktoren untereianander im Mittelpunkt (Wirkungsnetz). Siehe zu dem Thema auch Reduktionismus und Komplexität.
Kholodilin, K. A.; Siliverstovs, B. (2009): Geben Konjunkturprognosen eine gute Orientierung?
In dem Beitrag Kholodilin, K. A.; Siliverstovs, B. (2009): Geben Konjunkturprognosen eine gute Orientierung? In: DIW (Hrsg.): Wochenbericht, 13/2009, S. 207-214 kommen die Autoren zu folgendem Ergebnis: “Die vorliegende Bewertung der Treffgenauigkeit von Prognosen sowie von vorläufigen amtlichen Berechnungen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland zeigt, dass frühe Prognosen nicht nur sehr ungenau sind, sondern auch systematisch zu optimistisch ausfallen”. Nur: Wenn Prognosen so unsicher sind, warum verlassen wir uns dann auf die Zahlen? Wir sollten uns langsam von dem deterministischen Weltbild Newtons verabschieden (Reduktionismus) und die reale Komplexität der Zusammenhänge akzeptieren. Wenn man die Prognosen aus dieser Perspektive betrachtet, verwundert es nicht, wenn die oben genannten Autoren zu dem genannten Ergebnis kommen. In dem Buch The black Swan wird das ganze Dilemma der auf Statistik angelegten Finanzwirtschaft deutlich. Natürlich hat das Buch zu harscher Kritik der Statistiker geführt, dennoch hat die real existierende Finanzmarktkrise Taleb Recht gegeben – leider…?
Intelligenz-Quotient (IQ) aus Sicht der Komplexitätsforschung
Mainzer (2008:28) kritisiert, dass die klassische Sicht des Reduktionismus (Grenzwertansatz und Normalverteilung) „untypisch für komplexe Systeme [ist], in denen sich Ordnungen und Strukturen selbst organisieren. Normalverteilungen setzen nämlich völlig unabhängige Ereignisse voraus. Daher können sie keine Korrelationen und Synergieeffekte von zusammenwirkenden Ereignissen berücksichtigen, die erst zu neuen Formen und Strukturen in Natur und Gesellschaft führen.“ In einer äußerst komplexen Umwelt reichen die reduktionistischen Verfahren nicht mehr aus (Siehe dazu auch Komplexität, Emergenz). Der Intelligenz-Quotient (IQ) stützt sich auf die Normalverteilung, was aus der Sicht der Komplexitätsforschung somit eher kritisch zu sehen ist. Funke (2006) hat einen ausführlichen Beitrag zum ersten Intelligenztest geschrieben und führt auf Seite 38 dazu aus: “Inhaltlich hat sich das Intelligenzkonzept in den letzten 100 Jahren ausdifferenziert (vgl. Funke u. Vatterodt-Plünnecke 2004): An der Stelle einer einzigen Intelligenzdimension (´general intelligence´, g-Faktor) ist heute die Konzeption multipler Intelligenzen im Sinne unterschiedlicher Teilkompetenzen (z.B. logisches Schlussfolgern, verbale Intelligenz, kreatives Problemlösen, emotionale Kompetenz, Körperbeherrschung) getreten, für die jeweils andere Erfassungsinstrumente benötigt werden.” Siehe dazu auch Über den Unsinn von Intelligenztests, Muss der HAWIK-IV wirklich sein?
Reduktionismus: Die Vereinfachung komplexer Sachverhalte ist unangemessen
Briggs/Peat (1999:25) führen dazu aus: “Im wesentlichen ist der Reduktionismus die Natursicht eines Uhrmachers. Eine Uhr lässt sich auseinander nehmen und in ihre Bestandteile wie Zahnräder, Hebelchen, Federn und Triebwerk zerlegen. Sie lässt sich aus diesen Teilen auch wieder zusammensetzen. Der Reduktionismus stellt sich auch die Natur als etwas vor, was sich zusammensetzen und auseinander nehmen lässt. Reduktionisten glauben, dass auch die komplexesten Systeme aus atomaren und subatomaren Entsprechungen von Federn, Zahnrädchen und Hebeln bestehen, die die Natur auf unendlich vielfältige, geniale Art kombinierte.“ Die vereinfachende Zurückführung komplexer Sachverhalte auf einefache Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, (sowie deren Messbarkeit) ist in einem turbulenten Umfeld nicht mehr angemessen, denn es kommt in komplexen Systemen auch zu emergenten Phänomenen. Siehe dazu u.a. das Beispiel einer Fussballmannschaft, die Intellektualistische Legende oder Baumgartner 1973.