Arbeitsgruppe Dach30 zu Shu Ha Ri und Agilität

Agilität war in den letzten mehr als 20 Jahren (Agiles Manifest 2001) ein Schwerpunkt für kollaboratives Arbeiten in komplexen Problemlösungssituationen – beispielsweise in innovativen Projekten. In der Zwischenzeit wird Agilität durch die Entwicklungen bei der Künstlichen Intelligenz etwas in der Wahrnehmung zurückgedrängt.

Dennoch möchte ich hier einen Ansatz zu Agilität vorstellen, den ich in einer Veröffentlichung der Dach30 gefunden habe. Dach30 bezeichnet eine Arbeitsgruppe aus 30 führenden Großunternehmen, für die Start-up-Standards wohl oft nicht ausreichen.

Dach30 (2019): Mindeststandards für Unternehmensagilität | PDF.

Darin wird gleich am Anfang der Zusammenhang zwischen Agilität und Shu Ha Ri hergestellt, das aus der asiatischen Kampfkunst hervorgegangen ist. Im Zusammenhang mit Agilität bedeutet Shu so viel wie kopieren, nachmachen, HA so etwas wie durchbrechen, abweichen, und RI so etwas wie neu verwenden. Die Arbeitsgruppe Dach 30 hat diese Zusammenhänge im folgenden Stufenmodell zusammengefasst:

ShuHaRi
Kennt agile Werte und PrinzipienLebt agile Werte und PrinzipienVerankert nachhaltig agile Werte und Prinzipien, gestaltet Governance aktiv
Begleitung durch einen ExpertenAlleineAnderen helfen
Doing AgileBecoming AgileBeing Agile
Dach30 (2019)

Aus diesen grundlegenden Überlegungen leitet die Arbeitsgruppe sehr viele “Learning Objects” ab, was wiederum insgesamt ein umfangreiches Framework ergibt. Zunächst einmal erscheint alles sehr schlüssig und umsetzbar zu sein. Ergänzend möchte ich folgende Punkte anmerken:

(1) Shu Ha Ri wird hier mit Lernebenen, oder auch Kompetenzebenen assoziiert. Das erinnert stark an Dreyfus model of skill acquisition – Ebenen der Kompetenzentwicklung. Warum wird das Modell von Dreyfus nicht gleich verwendet? Warum der “Umweg” über Shu Ha Ri? Weiterhin sollte man bedenken, dass Stufen-Modelle immer wieder kritisiert werden – auch im agilen Kontext.

(2) Wenn es um Stufen der Kompetenzentwicklung bei Agilität geht, so stellt sich für mich die Frage, ob Agilität in Organisationen nicht letztendlich bedeutet, Kompetenzentwicklung (Kompetenz als Selbstorganisationsdisposition) auf den Ebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk umzusetzen. Siehe dazu auch Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Ebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

(3) “Learning Objects” sind hier als Inhalte gemeint, die gelernt werden sollten (Lernziele, Kompetenzentwicklung). Es sind allerdings Subjekte (nicht Objekte) die Lernen. Der Begriff “Learning Objects” kann hier in die Irre führen. In meinen Veröffentlichungen habe ich in verschiedenen Paper immer wieder darauf hingewiesen. Das erste Mal ausführlich in Freund, R. (2003): Mass Customization in Education and Training, ELearnChina 2003, Edinburgh, Scotland. Download | Flyer.

Siehe dazu auch Agiles Lernen und selbstorganisierte Kompetenzentwicklung.

Von Mass Customization and Personalization zu KI-basierter Personalisierung von beruflicher Weiterbildung

Die moderne Arbeitswelt benötigt die permanente, individuelle Unterstützung von Lernprozessen in der jeweiligen beruflichen Domäne. Das Lernen im Prozess der Arbeit wird in Zukunft immer wichtiger im Rahmen der Kompetenzentwicklung auf der individuellen Ebene, der Teamebene, der organisationalen Ebene und der Netzwerkebene.

Eine mögliche konkrete Umsetzung kann durch die Modularisierung von Inhalten und eine entsprechende Konfiguration erfolgen. Beide hervorgehobenen Begriffe sind Bestandteile der Hybriden Wettbewerbsstrategie Mass Customization and Personalization – hier übertragen auf den Bereich der beruflichen Weiterbildung.

Es wundert mich immer noch, dass diese Erkenntnisse heute noch hervorgehoben werden. Beispielhaft möchte ich den im letzten Jahr veröffentlichten Leitfaden Pabst et al. (2023): Modularisierung berufsbezogener Weiterbildung (PDF) erwähnen, der Modulare Bildung als Antwort auf den Wandel der Arbeitswelt herausstellt.

In den letzten mehr als zwei Jahrzehnten habe ich – neben verschiedenen anderen Autoren – dazu mehrere Konferenzpaper veröffentlicht, von denen ich hier nur einige wenige beispielhaft nennen möchte (Siehe Veröffentlichungen):

Freund, R.; Piotrowski, M. (2005): Mass Customization and Personalization in Adult Education and Training. In: Shyam Sunder Kambhammettu (Ed.): Mass Customization. Concepts and Applications, Le Magnus University Press, Hyderabad, India.

Freund, R.; Piotrowski, M. (2003): Mass Customization and Personalization in Adult Education and Training. 2nd Worldcongress on Mass Customization and Personalization MCPC2003, Munich, Germany.

Freund, R. (2003): Mass Customization in Education and Training, ELearnChina 2003, Edinburgh, Scotland.

Freund, R. (2001): Mass Customization in der beruflichen Bildung. Vortrag an der PH Freiburg im Rahmen der Weiterbildung zum Experten für neue Lerntechnologien (FH).

Dabei kam es mir immer darauf an, Customization und Personalization zu unterscheiden. In den Diskussionen um die Modularisierung von Inhalten, beispielsweise durch sogenannte Learning Objects usw., sollte m.E. deutlicher gemacht werden, dass es nicht Objekte sind, die lernen, sondern Personen (Learning Persons). Um Lernen auf allen Ebenen selbstgesteuert und selbstorganisiert zu ermöglichen, können Technologien wie Konfiguratoren, und jetzt natürlich auch Künstliche Intelligenz (KI) helfen.

In dem Praxisleitfaden Fischer et al (2023): KI-basierte Personalisierung berufsbezogener Weiterbildung stellen die Autoren verschiedene Aspekten vor. Der Bezug zur Hybriden Wettbewerbsstrategie Mass Customization and Personalization wird leider nicht hergestellt – schade.


Individuell, für eine große Anzahl von Personen und kostengünstig weiterbilden? Wie soll das denn gehen?

In der aktuellen Diskussion zur beruflichen Bildung (Weiterbildung) geht es einerseits um die Möglichkeiten der Digitalisierung und andererseits auch um die Unterstützung individueller Lernprozesse im Sinne von Personalisierung. Dass es möglich ist, massenhaft, individuell und kostengünstig weiterzubilden, habe ich im Rahmen meines berufsbegleitenden Studiums zum Experten für neue Lerntechnologien (heute HFU Akademie, Wissenschaftliche Weiterbildung der Hochschule Furtwangen) schon in 2003 untersucht.

In meinem Paper Freund, R. (2003): Mass Customization and Personalization in der beruflichen Bildung (PDF) habe ich zunächst dargestellt, dass es möglich ist, die hybride Wettbewerbsstrategie Mass Customization auf den Bildungsbereich zu übertragen. Es ist möglich, massenhaft und dennoch individuell – zu vertretbaren Kosten – weiterzubilden.

Danach stellte sich gleich die Frage, wie das umgesetzt werden kann. Die klassische Antwort war: Mit Hilfe von Konfiguratoren und Learning Objects. Das ist zwar eine gute Idee, doch lernen nicht die Objekte, sondern die Menschen, eben Subjekte. Meine Überlegungen mündeten letztendlich in dem Vorschlag, die Multiple Intelligenzen Theorie von Howard Gardner zu nutzen.

An dieser Stelle möchte ich weiterhin erwähnen, dass ich diese Gedanken auch auf der Weltkonferenz zu Mass Customization and Personalization MCPC 2003 vorgestellt habe: Freund, R.; Piotrowski, M. (2003): Mass Customization and Personalization in Adult Education and Training. 2nd Worldcongress on Mass Customization and Personalization MCPC2003, Munich, Germany [Download].

PAUX

paux-robert-freund.gifMichael Dreusicke bietet seit Ende 2006 das System PAUX in der zweiten Version an: “PAUX bildet Wissen als ein Netzwerk aus Einzel-Informationen ab, die mit Metadaten beschrieben und semantisch miteinander verknüpft sind”. Dieser Zusammenhang wird als “Wissen veredeln” beschrieben. Es ist sicher sinnvoll, Verknüpfungen von Daten und Informationen zu visualisieren und Metadaten zu hinterlegen, dennoch sollte man den Wissensbegriff nicht alleine darauf reduzieren. Siehe dazu Die Suche nach Wissen, statt nach Webseiten und Implizite Dimension des Wissens). Darüber hinaus bezieht sich Michael Dreusicke auch auf Mass Customization. Gemeint ist hier allerdings, dass man Inhalte “wie Lego-Steine” zusammenstellen kann. Es wird der Begriff “reusable content objects” verwendet, der wohl an “Learning Objects” angelehnt ist. Zu den Möglichkeiten von Mass Customization und Learning Objects finden Sie in meinem Paper von der ELearnChina2003 oder auf meiner ensprechenden Website weitere Informationen. Ganz besonders möchte ich Sie auf den Zusammenhang con Context und Content aufmerksam machen. Insgesamt gesehen ist PAUX ein interessantes Tool (das richtig eingesetzt) die Aufbereitung von Informationen erleichtern kann.