Intelligenztheorie: Anmerkungen zu Sternbergs Triarchischen Theorie und Gardners Multiple Intelligenzen Theorie

In meiner Veröffentlichung Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk habe ich dazu auf Seite 8 folgendes geschrieben:

Die Triarchische Theorie (vgl. Sternberg 1985a/1985b) und die Multiple Intelligenzen Theorie (vgl. Gardner 1983/1993) scheinen geeignet zu sein, wenn es um eine notwendige Erweiterung des Intelligenzbegriffs geht (vgl. Siebert/Seidel 2000:48), da beide Theorien als Systemmodelle bezeichnet werden können, die „auch externe Aspekte des Erlebens und Denkens [mit einbeziehen, und] (…) Intelligenz als komplexes System betrachten“ (Schulze et al. 2006:15). Die Berücksichtigung von Intelligenz als komplexes System wird diesen Theorien von den eher an der psychometrischen Tradition des Intelligenzkonstrukts orientierten Forschern jedoch zum Vorwurf gemacht, da es Aufgabe der Wissenschaft sei „komplexe Konzepte auf einfache, elementarere zu reduzieren“ (Eysenck 2004:114). Aus der Perspektive eines offeneren Wissenschaftsverständnisses ist es allerdings eher eine Stärke von Intelligenztheorien, wenn diese Intelligenz als komplexes Konstrukt ansehen. Die Triarchische Theorie (vgl. Sternberg 1984/1985) und die Multiple Intelligenzen Theorie (vgl. Gardner 1983/1993) sind auch dazu geeignet, Brücken zwischen den verschiedenen Ansätzen der Intelligenzforschung zu schlagen, und dem arbeitsweltbezogenen Handeln mit seiner Kontextabhängigkeit und Komplexität gerecht zu werden (vgl. Jez 2005:54). Beide Theorien integrieren damit bisher disparate Forschungsergebnisse und Theorien, wodurch sich ein neuer Rahmen für ein besseres Verständnis von menschlicher Intelligenz und Kompetenz ergeben kann (vgl. Kail/Pellegrino 1988:166).

EU-Projekt InPath: Innovatives Praxishandbuch veröffentlicht

inpath“Das Projekt IN PATH – Intelligent Pathways for Better Inclusion hat ein innovatives Praxishandbuch mit Trainingskurs entwickelt, das von Trainern und Sozialarbeitern im Bereich der Erwachsenbildung genutzt werden kann, um die Anpassung von pädagogischen Techniken an die Lernstile und Intelligenzprofile von benachteiligten und am Rande der Gesellschaft stehenden Bürgern zu fördern. Basis dieses Projektes ist die Theorie der Multiplen Intelligenz von Howard Gardner. Weitere Informationen über das Projekt finden Sie auf der IN PATH-Website www.spi.pt/inpath sowie auf Facebook http://www.facebook.com/InPath.Project.” Siehe dazu auch den 4. Newsletter des EU-Projekts. Es freut mich sehr, dass ich bei der Erarbeitung des Praxishandbuchs im Rahmen eines Workshops an der Universität Erlangen als Experte für die Multiple Intelligenzen Theorie mitarbeiten durfte. Siehe dazu auch das von mir initiierte EU-Projekt MIapp (2004-2006) und Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Indivisuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Das Konzept der Multiplen Kompetenz basiert auf der Multiple Intelligenzen Theorie

In dem Beitrag Rauner, F. (2013): Multiple Kompetenz. Die Fähigkeit der holistischen Lösung beruflicher Aufgaben. A+B Forschungsberichte Nr. 10/2013 Bremen, Heidelberg, Karlsruhe, Weingarten: A+B Forschungsnetzwerk begründet Felix Rauner noch einmal das Konzept der Multiplen Kompetenz, das er schon in einem früheren Beitrag Rauner, F. (2007): Praktisches Wissen und berufliche Handlungskompetenz skizziert hat. Es freut mich, dass Felix Rauner auch heute noch die Multiple Intelligenzen Theorie von Howard Gardner als eine wichtige Basis für die Begründung einer Multiplen Kompetenz heranzieht (S. 16ff.). Besonders hervorheben möchte ich folgende Texte (S. 17-18):

In diesem Sinne gelingt CONNELL, SHERIDAN und GARDNER (2003) in einem grundlegenden Beitrag zur kategorialen Differenzierung zwischen abilities, competencies und expertise ein wichtiger Schritt zur Begründung einer Theorie multipler Kompetenz. Mit dem Begriff der multiplen Kompetenz soll in Anlehnung an das Konzept der multiplen Intelligenz von Howard GARDNER dem Stand der Kompetenz- und Wissensforschung Rechnung getragen werden, wonach mehrere relativ autonome Kompetenzen beim Menschen unterschieden
werden können, die bei den Individuen – je nach beruflicher Sozialisation und Qualifizierung – höchst verschieden ausgeprägt sein können.

Die Nähe zu der von GARDNER begründeten Theorie der multiplen Intelligenz ist offensichtlich. Beide, die Wissens- und Kompetenzdebatte sowie die Abkehr vom Konzept der universellen Intelligenz, verweisen auf die Vielfalt menschlicher Fähigkeiten (GARDNER 1991, 28 ff., 124 ff.).

Siehe dazu auch Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Der IQ soll ein Mythos sein? Eine groß angelegte Studie soll das belegen.

In dem Artikel Hamshire, A.; Highfield, R. R.; Parkin, B. L.; Owen, A. M. (2012): Fractionating human intelligence. In: Neuron, Volume 76, Issue 6, 1225-1237, 20 December 2012 argumentieren die Autoren aufgrund einer groß angelegten Studie, dass der Intelligenz-Quotient (IQ) ein Mythos ist. Siehe dazu auch Western-led research debunks the IQ myth, IQ a myth – study says, Intelligenz: Adieu IQ? Ähnlich argumentiert auch Howard Gardner mit seiner Multiple Intelligenzen Theorie, wobei er den IQ als Teil eines multiplen Systems sieht (MI und IQ). In meiner Forschungsarbeit gehe ich weiterhin davon aus, dass eine Person diese verschiedenen Intelligenzen in dem jeweiligen Handlungskontext aktiviert und somit zeigt. Diese Multiplen Kompetenzen zeigen sich als Emergenzphänomene auf den verschiedenen Ebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Kompetenz ist kontextabhängig – Intelligenz aber auch

kompetenzdiagnostik.gifAuf der Website Kompetenzdiagnostik.de wird auf ein interessantes Projekt hingewiesen. Es handelt sich um das in 2006 eingerichtete Schwerpunktprogramm (SPP) Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungsergebnissen. Dabei spielt der Kompetenzbegriff eine entscheidende Rolle. Die Autoren Klieme/Leutner (2006:4) argumentieren wie folgt: “Für das SPP definieren wir Kompetenzen als kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen, die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in bestimmten Domänen beziehen. Das wesentliche Charakteristikum des hier verwendeten Kompetenzbegriffs ist die Kontextabhängigkeit. So wurde der Kompetenzbegriff in der Psychologie als Gegenbegriff zur klassischen Intelligenzforschung eingeführt, die generalisierte, kontextunabhängige, nur begrenzt erlernbare kognitive Dispositionen untersucht (z.B. McClelland, 1973; ´Testing for competence rather than for ‚intelligence’´).

Ich bin froh darüber, dass man die Kontextabhängigkeit des Kompetenzbegriffes berücksichtigt (Wie Sie als Leser meines Blogs wissen, plädiere ich schon länger dafür). Nicht einverstanden bin ich allerdings damit, dass die Autoren nur die traditionelle Beschreibung von Intelligenz berücksichtigen. Neuere Intelligenzkonzepte berücksichtigen sehr wohl den Kontext. Zum Beispiel die Multiple Intelligenzen Theorie von Gardner. Wenn also Kompetenz und Intelligenz kontextabhängig sind, könnte man dann nicht wie Rauner (2004) von einem Konzept der Multiplen Kompetenz sprechen?

Warum sollte man sich mit der Multiple-Intelligenzen-Theorie befassen?

Kail/Pellegrino (1988:166) geben dazu folgende Antwort: „Gardners (1983) Theorie der multiplen Intelligenzen und Sternbergs (1984) triarchische Theorie sind die bisher ehrgeizigsten Versuche, eine Brücke zwischen den traditionellen Ansätzen der Intelligenzforschung zu schlagen. Wahrscheinlich sollte man sie als allge­meine theoretische Entwürfe und nicht als vollständig ausgearbeitete, abschlie­ßende Theorien betrachten. Miller (1983) schrieb in einer Beurteilung von Gardners Arbeiten: »Wir alle schulden Gardner für seinen Versuch der Inte­gration verschiedener Ansätze Dank. Daß er ihn als Theorie bezeichnet, soll­te den gewöhnlichen Leser nicht ab­schrecken; denn es handelt sich tatsäch­lich weniger um eine wissenschaftliche Theorie als um eine Leine, auf die er seine intellektuelle Wäsche hängt.« (Seite 5) Sternberg stellt in einem ähn­lichen Tenor fest, daß »die Subtheorien, und insbesondere die Kontext-Subtheorie, weiter spezifiziert werden müßten« (Seite 286). Der Beitrag die­ser Theorien liegt also weniger darin, daß sich spezifische Prognosen aus ihnen ableiten ließen, als vielmehr in der Integration bisher disparater Forschungsergebnisse und Theorien und darüber hinaus im Entwurf eines neuen Rahmens für die Konzeptualisierung der Intelligenz. Daraus erge­ben sich die Fragen, deren Beantwor­tung zu einem besseren Verständnis der menschlichen Intelligenz führen kann“.

Funke, J. (2006): Alfred Binet (1857-1911) und der erste Intelligenztest der Welt

In dem Beitrag beschreibt Joachim Funke eindrucksvoll den Weg zum ersten Intelligenztest der Welt. Interessanter ist allerdings für mich folgendes (Seite 38): “Inhaltlich hat sich das Intelligenzkonzept in den letzten 100 Jahren ausdifferenziert (vgl. Funke u. Vatterodt-Plünnecke 2004): An der Stelle einer einzigen Intelligenzdimension (´general intelligence´, g-Faktor) ist heute die Konzeption multipler Intelligenzen im Sinne unterschiedlicher Teilkompetenzen (z.B. logisches Schlussfolgern, verbale Intelligenz, kreatives Problemlösen, emotionale Kompetenz, Körperbeherrschung) getreten, für die jeweils andere Erfassungsinstrumente benötigt werden.”

Ein deutlicher Hinweis auf die Multiple Intelligenzen Theorie von Gardner. Siehe dazu auch Freund, R. (2011): Das Konzept der Multiplen Kompetenz auf den Analyseebenen Individuum, Gruppe, Organisation und Netzwerk.

Penttinen, H. (2004): System Intelligence and Multiple Intelligences in performing

Der Beitrag von Penttinen, H. (2004): Systems intelligence and multiple intelligences in performing ist erschienen in: Hämäläinen, R. P; Saarinen, E. (Eds.): Systems Intelligence – Discovering a Hidden Competence in Human Action and Organizational Life. Helsinki University of Technology: Systems Analysis Laboratory Research Reports, A88, October 2004, p. 283-298. Penttinen befasst sich mit dem Begriff der System Intelligence (SI), der in 2002 von Hämäläinen geprägt wurde. Dabei bezieht sich der Ansatz von Hämäläinen ausdrücklich auch auf die Multiple Intelligenzen Theorie von Gardner. Aus meiner Sicht ist das auch wieder ein Hinweis darauf, dass die Multiple Intelligenzen Theorie nicht nur in den USA und asiatischen Ländern (China, Süd-Korea usw.) , sondern auch in Europa immer mehr Beachtung findet.

Project Based Learning and Multiple Intelligences

mi_pbl.jpgDiese Website gibt sehr gute Anregungen zum projektbasierten Lernen mit Hilfe der Multiple Intelligenzen Theorie: “John Dewey theorized that learning should not only prepare one for life, but should also be an integral part of life itself. Simulating real problems and real problem-solving is one function of project based learning. Students help choose their own projects and create learning opportunities based upon their individual interests and strengths. Projects assist students in succeeding within the classroom and beyond, because they allow learners to apply multiple intelligences in completing a project they can be proud of. Our society values individuals who can solve problems creatively, using multiple strengths, so why shouldn’t we encourage students to do the same?”

EuEuropean Commission (2004): Study on Innovative Learning Environments in School Education

In diesem Report (8MB) geht es um innovative Lernumgebungen. Dabei wird ausdrücklich auf die Multiple Intelligenzen Theorie von Howard Gardner hingewiesen und eingegangen. Anhand einiger Fallstudien von europäischen Schulen wird aufgezeigt, wie diese neuen Ansätze umgesetzt werden können und wo es noch Handlungsbedarf gibt. Es scheint so zu sein, dass sich die Erkenntnisse aus der Multiplen Intelligenzen Theorie landsam aber sich auch in Europa durchsetzen.

Eine deutschsprachige Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse finden Sie auf der Website von elearningeurope.info: Das neue Lernparadigma in der Schulbildung.