Web 2.0: Selbstorganisation und kollektive Intelligenz – wie ist das zu verstehen?

robertfreund-sciencegarden-web-2.0.jpgDer Artikel Web 2.0 – Social Software in der zweiten Generation (sciencegarden Februar/März 2007) geht sehr schön auf die aktuelle Diskussion ein und stellt klar, dass die neue Generation der Social Software Möglichkeiten birgt, die manchen Leuten wohl nicht bewusst sind. Ganz besonders möchte ich auf folgende Passage aufmerksam machen: “Selbstorganisation als Prinzip. Maßgeblich für den Einsatz der neuen Social Software-Anwendungen sind die Prinzipien der redaktionellen Selbstorganisation („Graswurzelredaktion“) und der kollektiven Intelligenz.” Die Leser meines Blog wissen, dass ich gerade auf diese Punkte immer wieder hinweise. Dennoch: Auch wenn hier die gleichen Begriffe verwendet werden kann es sein, dass andere Dinge damit gemeint sind. Deshalb hier noch einmal meine Position: Unter Selbstorganisation verstehe ich die Selbstorganisationsdisposition im Sinne der Kompetenzdefinition von Erpenbeck/Heyse (QUEM-Projekt). Weiterhin verstehe ich den Begriff “Kollektive Intelligenz” nicht im Sinne des klassischen IQ, sondern im Sinne der Multiplen Intelligenzen. Siehe dazu auch das von mir initiierte EU-Projekt MIapp (2004-2006). Es ist doch immer wieder festzustellen, dass die gleichen Begriffe verwendet werden, die Leute aber oftmals etwas anderes darunter verstehen…

Tapscott, D. (2007) zur digitalen Wirtschaft

In dem Interview in brand eins 2/2007 stellt Don Tapscott noch einmal die bekannten Vor- und Nachteile des sogenannten Web 2.0 für die Unternehmen dar. Dabei geht er auf kollektive Intelligenz, Transaktionskostentheorie usw. ein und kreiert so nebenbei einen weiteren marketingfähigen Begriff “wikinomics”. Aus den Antworten von Don Tapscott liesse sich eher der Begriff “web 2.0-onomics” ableiten, aber der ist doch zu sperrig für einen amerikanischen Vordenker… Also noch ein neuer Begriff für das bekannte Phänomen, dass Unternehmen mit den neuen technologischen Möglichkeiten konfrontiert werden (Siehe dazu auch meinen Blogbeitrag). Dennoch findet sich auch ein sehr interessanter Hinweis: “Das MP3-Phänomen ist im Grunde genommen ein Beispiel für die Kraft der Selbstorganisation von Musikliebhabern und Musikern, die damit Stück für Stück die großen Verlage und Labels entmachten (…).” Das Wort Selbstorganisation erinnert mich natürlich an Selbstorganisationsdispositionen, also an Kompetenzen. Ist die von Tapscott beschworene “wikinomics” daher nur modernes, dynamisches Kompetenzmanagement?

Mistele, P; Trolle, A. (2006): Zur Konstruktion von Lernräumen in Hochleistungsystemen

lernraeume.gifMistele und Trolle beschreiben in ihrem Arbeitspapier, dass das Lernen im Arbeitsprozess an Bedeutung zugenommen hat und auch noch zunehmen wird. Dabei gehen die Autoren auf die damit verbundenen Veränderungen der Örtlichkeiten und der Räumlichkeit des Lernens ein. In der Zusammenfassung findet sich folgender Satz: “Die zunehmende Verlagerung des Lernens in den Prozess der Arbeit dient dem Erwerb und Ausbau situativer Handlungsfähigkeiten über formelle und informelle Lernprozesse.” Meines Erachtens wieder ein Hinweis darauf, dass Kontextbezug und Selbstorganisation, also Kompetenz als Selbstorganisationsdisposition, im Unternehmensbereich wichtig ist. Das von Rauner beschriebene Konzept der Multiplen Kompetenz (Kompetenz und Multiple Intelligenz) ist in diesem Sinne anschlussfähig.

Mathematik im Selbstversuch: Selbstorganisation in der Schule – Warum nicht?

Ein Gymnasium in der Schweiz praktiziert den Unterricht ohne Lehrer. Quelle: DIE ZEIT vom 04.05.2006: “Selbstlernsemester, abgekürzt SLS, heißt das Experiment, das die Schule in Wetzikon, einem Vorort von Zürich, landesweit bekannt gemacht hat. In Deutsch, Mathematik, Chemie, Biologie, Sport und zwei Sprachen müssen sich die fünften Gymnasialklassen (die elften nach deutscher Zählweise) das Wissen ein halbes Jahr lang weitgehend selbst beibringen”. Siehe dazu auch Multiple Intelligenzen in Bildung und Beruf